Hauptgewinn
Iacov Grinberg besuchte das Gastspiel eines französischen Puppentheaters im Kulturhaus Abraxas. Ihn hat das Stück in seine Kindheit zurückversetzt und tief berührt.
Seit vielen Jahren wird die Augsburger Theaterlandschaft durch Gastspiele verschiedener Puppentheater aus europäischen und asiatischen Ländern bereichert. Diese wurden von den »Freunden der Augsburger Puppenkiste e.V.« organisiert. Einige Jahre lang gab es eine ganze Woche lang Gastspiele, die unter dem Titel »Klapps-Festival« stattfanden. Mehr als zehn Jahre lang habe ich versucht, alle Klapps-Festivals zu besuchen. Natürlich waren die dort gezeigten Theaterstücke unterschiedlich, aber alle sehr interessant. Manchmal gab es große, fast einen Meter hohe Puppen; manchmal waren es winzige Kugeln, die an den Handflächen der Schauspieler befestigt waren und Gesichter trugen. Manchmal folgte das Geschehen auf der Bühne einem bekannten literarischen Werk, manchmal war es ein Märchen, das auf eine besondere Art neu erzählt wurde. Die vertrauten Märchenhelden agierten ungewöhnlich, und betonte Details verwandelten die seit Kindheit bekannte Geschichte in eine völlig neue, oft sogar interessantere und amüsantere Erzählung.
Vor einigen Jahren habe ich geschrieben, dass die Klapps-Festivals einer Lotterie ohne Nieten gleichen: Man erhält immer etwas Gutes, aber manchmal sogar einen Hauptgewinn. Nun möchte ich hinzufügen, dass der Wert dieses Hauptgewinns auch von der Person abhängt, die ihn erhält.
Dieses Jahr haben die Freunde der Augsburger Puppenkiste e.V. nur ein Theater eingeladen: »Les Antliaclastes« aus Frankreich. Am 27. und 28. September dieses Jahres zeigte es das Stück »The Waltz of Hommelettes« – frei nach den »Elfen« der Brüder Grimm. Für mich war dieses Stück der Hauptgewinn.
Auf der Bühne stand eine riesige Schwarzwälder Kuckucksuhr. Es herrschte Halbdunkel, und aus dem Schornstein rechts oben stieg Rauch. Das erinnerte mich an meine Kindheit. Wir, die Nachkriegskinder (ich, Jahrgang 1949, und meine Schwester, Jahrgang 1946), saßen abends am Ofen, und Ältere lasen uns Märchen aus einem alten Buch der Brüder Grimm vor. Wir kannten diese Märchen schon, hatten sie oft gehört und ergänzten das Gehörte mit unserer Fantasie. Das alte Märchenbuch hatte nur wenige schwarz-weiße Illustrationen. Wir besaßen keine Kuckucksuhr, sondern eine Pendeluhr mit römischen Ziffern auf dem Zifferblatt. Im Inneren sahen wir Kinder viele Zahnräder, und die Bewegung der Zeiger war für uns damals Zauberei. Wir wussten nicht, wer sich noch in diesem Uhrgehäuse versteckte. Gehörnte Kaninchen, der Kuckuck im Gewand einer alten Frau und Elfen, die einem armen Schuhmacher helfen, waren für uns real und lebendig.
Ich zweifle nicht daran, dass viele, die das Stück gesehen haben, viel Gutes über die Texte, Puppen, Masken, Kostüme, Bühnenbild und Mechanik sagen könnten. Mich jedoch hat das Stück an meine Kindheit erinnert und einige tiefe Saiten meiner Seele berührt. Für mich war dieses Stück der Hauptgewinn: eine kurze Rückkehr in meine Kindheit. Dafür möchte ich denen, die daran mitgewirkt haben, von Herzen danken.
Ich hoffe, die Freunde der Augsburger Puppenkiste e.V. setzen ihre Arbeit fort und laden auch in Zukunft verschiedene Puppentheater ein. Verpassen Sie diese Gastspiele keinesfalls. Vielleicht wird auch für Sie ein Hauptgewinn dabei sein – oder zumindest ein amüsantes Puppentheaterstück.
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