75 Jahre und kein bisschen leise

Die Augsburger Puppenkiste hat eine Premiere in Szene gesetzt, Brecht auf dem Schirm, aber noch nicht auf der Bühne und eine Jubiläumsausstellung mit wundervollen Schätzen aus 75 Jahren.
Ein Gastbeitrag von Florian Pittroff
Zu sehen sein wird dann auch die Figur, zumindest der Kopf davon, mit der alles begann: der Gestiefelte Kater. Von der »Kraft des Willens und des Optimismus« sollte dieses Stück erzählen. Das war am 26. Februar 1948. 75 Jahre später, also am 26. Februar 2023, gab es in der Puppenkiste wieder eine Premiere: »Rapunzel«. Rapunzel? Warum Rapunzel? »Rapunzel hatten wir noch nicht auf der Bühne – es ist aber nach wie vor ein sehr bekanntes Märchen«, meint Klaus Marschall. Darüber hinaus besteht eine Verbindung zur Premiere 1948 und zu vergangenen Coronazeiten: »Großes Unglück und lange Einsamkeit«, so Klaus Marschall.
Dennoch oder gerade deshalb begeistern auch im Nachmittags-Jubiläumsstück Prinz Poldi, König Schnarchi der Zweite und das königliche Haus- und Hofschwein Grunznase die kleinen und großen Fans. Regisseur Florian Moch inszenierte das Märchen zum 75-jährigen Bestehen der Puppenkiste komplett neu. Und wunderbar gelungen!
Brecht in der Puppenkiste – nicht frei von Hindernissen
Ein weiteres Aushängeschild Augsburgs feiert in diesem Jahr ebenfalls ein Jubiläum: Bert Brecht seinen 125. Geburtstag. Walter Oehmichen, der Gründer der Augsburger Puppenkiste, war ein großer Brechtverehrer. Und so kam Brechts »Dreigroschenoper« am 24. September 1960 auf die Bühne in der Spitalgasse. Bis es allerdings so weit war, war es ein langer Weg.
Als Walter Oehmichen mit der Inszenierung der »Dreigroschenoper« begann, war Brecht in Augsburg und auch anderswo relativ unbeliebt – um es mal freundlich auszudrücken. Aufgrund seiner Entscheidung, nach seiner Rückkehr aus dem Exil in der DDR zu leben und zu arbeiten, wurde er als Kommunist abgestempelt. Die Augsburger Theatergemeinde lehnte die »Dreigroschenoper« in Augsburg kategorisch ab.
Noch während Oehmichen mit Lotte Lenya über kleinere und größere Streichungen und Veränderungen verhandelte, legten ihm auch die Augsburger Stadtoberen nahe, die Aufführung zu streichen. Walter Oehmichen ließ sich nicht beirren – die Premiere fand statt. Den Prolog an diesem Abend sprach übrigens – dies nur am Rande – Therese Giehse live!
Für Klaus Marschall ist es schwierig mit Bert Brecht. »Manchmal denke ich schon daran, die Dreigroschenoper wieder herauszukramen, zu bearbeiten und zu spielen.« Seiner Ansicht nach ist Brecht aber zu »menschlich« fürs Marionettentheater. Beim »Ring der Nibelungen« ist das anders. Da gibt es Drachen, Riesen und den Gott der Gewalt und des Zorns.
Sonderausstellung zum Jubiläum: das Beste aus 75 Jahren
Berühmte Figuren wie der Kasperl, Jim Knopf oder der Löwe sind nur einige der über 5.000 Marionetten aus dem großen Figurenbestand. Bis Ende des Jahres hat der Puppenkistenfan aus nah und fern ausgiebig die Möglichkeit, ins Schwärmen zu geraten und auch noch etwas Neues zu entdecken. »Ein Hoch auf 75 Jahre Augsburger Puppenkiste!« – unter diesem Motto steht nämlich die Sonderausstellung im Puppentheatermuseum »Die Kiste«. In den verschiedenen Vitrinen in der Ausstellung, übrigens als offene »Kisten« kreiert, gibt es alles, was die Puppenkiste zu bieten hat und hatte – schön, übersichtlich geordnet, sortiert und inszeniert. Zum Beispiel 1948: »D. Joannis Fausti«, das erstes Stück für Erwachsene. Oder 2018: Wagners »Ring« mit Marionetten. Quasi das »Ringlein« zum 70. Jubiläum auf schlanke zwei Stunden heruntergekürzt. Oder 1969: Urmels Ei. Durch einen glücklichen Zufall wurde das tausend Jahre alte Ei am Strand von Titiwu angespült. Es gelang, das Ei auszubrüten, und heraus schlüpfte ein Urmel. Das Urmel ist zwar erst ein paar Vitrinen weiter zu besichtigen. Die Eierschalen gilt es aber schon mal separat in Augenschein zu nehmen.
Neben Marionetten und Requisiten finden sich in der Ausstellung aber auch viele Auszeichnungen, ein Puppenkistenpuzzle und Anekdoten. Wie die von Sepp Strubel und Paul Maar: Strubel fragte Maar, ob er nicht Lust habe, einmal etwas direkt für die Marionetten zu schreiben. »Lass die Figuren bitte nicht allzu oft durch Türen gehen oder sich unter Bäumen aufhalten – wegen der Fäden. Da kommen die Puppenspieler ja nicht durch«, gab Strubel dem Autor noch mit auf den Weg, als dieser zusagte.
Paul Maar erhob die Bitte zur Prämisse und entwickelte in groben Umrissen eine Geschichte über eine Familie, die im Grasland leben sollte – einem Land ohne Häuser, in dem alle Bäume abgeholzt wurden … Alles zu besichtigen bis 5. November 2023.
Und ganz zum Schluss geht es – ganz kurz – doch noch ums Geld
»In der Puppenkiste hat niemand behauptet, dass wir kurz vor dem Aus stehen«, so Klaus Marschall. »Wir können nur im Moment die Zukunft nicht so rosarot malen, wie es die Medien gerne hätten.« Natürlich weiß der Theaterleiter heute nicht, ob es möglicherweise in absehbarer Zeit finanzielle Schwierigkeiten geben könnte. »Aber dass schon wieder getitelt wird: ›Puppenkiste vor dem Aus?‹ finden wir reichlich übertrieben. Ich bin zuversichtlich, dass es mit der Puppenkiste noch lange weitergeht und die Familie weiterhin aktiv dabei ist.«
In diesem Sinne: die allerbesten Glückwünsche, liebe Augsburger Puppenkiste, zum 75. Geburtstag!



