Lesend gegen Diskriminierung* – Ein erster Schritt ist es, sich zu informieren und zuzuhören. Lesebedarf – die a3kultur-Literaturkolumne
Antirassismus im Bücherregal

Seit dem 25. Mai 2020 ist die Rassismusdebatte wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Der Tag, an dem der Schwarze US-Bürger George Floyd auf offener Straße von vier Polizisten während seiner Festnahme ermordet wurde, war der Beginn von Protesten gegen Polizeigewalt, gegen Rassismus und gegen Unterdrückung – weltweit. Auch die Augsburger*innen erkennen, wie wichtig dieses Thema ist. Sie zeigten bei einer Demo Anfang Juni ihre Solidarität, ihren Unmut und fordern eine strukturelle Veränderung.
Warum diese dringend nötig ist, vor allem auch in Deutschland, erklärt Alice Hasters in »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten«. Sehr offen erzählt Hasters von eigenen Erfahrungen, macht deutlich, wo alltägliche Probleme liegen, und setzt sich gleichzeitig mit der deutschen Geschichte auseinander. Das Thema Rassismus ist nämlich keineswegs nur ein Problem der NS-Zeit gewesen, auch wenn das hierzulande oft geglaubt wird.
Offener Rassismus in Form von Angriffen, abwertenden Kommentaren und Beleidigungen sind eindeutig und werden auch als »falsch« erkannt. Viel schwieriger wird es aber, wenn es um unterschwellige und strukturelle Diskriminierung geht, vor allem wenn man nicht selbst betroffen ist. Wenn ein weißer Mensch bei einer Reise nach Soweto, Südafrika von Kindern angestarrt und vielleicht sogar berührt wird, mag das zwar eine individuelle diskriminierende Erfahrung sein, doch kann nicht von Rassismus gesprochen werden. Denn bei Rassismus geht es hauptsächlich um Macht. Rassismus gegen Weiße ist im Gesamtbild schlicht nicht relevant, denn auf der ganzen Welt erfahren Weiße Privilegien. Überall in der Öffentlichkeit sind Weiße ständig vertreten, egal ob in Politik, Medien oder Werbung. Sogar im Federmäppchen von Grundschülern ist der »hautfarbene« Buntstift hell. Damit werden Schwarze ausgegrenzt, ihr Dasein wird übersehen. Menschen, die keine helle Haut haben, bekommen schlicht keinen Platz im System.
Dieses Ungleichgewicht zeigt sich auch bei einem Blick auf die Buchbranche. Greift man sich in der Buchhandlung ein Buch aus dem Regal, sind Autor*in und Figuren mit höchster Wahrscheinlichkeit weiß, es herrscht kein ausgeglichenes Verhältnis. Ganz im Gegenteil, gerade für den deutschen Markt wird in der Buchbranche sogar sogenanntes Whitewashing betrieben. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn das Cover einen Charakter aus dem Buch zeigt, der im Original nicht weiß ist, auf der deutschen Ausgabe aber schon. So etwas fällt im Laden selten auf, weil man schließlich kaum beide Ausgaben nebeneinander sieht, aber diese Strategie verfolgen deutsche Verlage erschreckend oft.
Zugegeben: Es ist schwer, über Rassismus zu sprechen, auch oder vielleicht sogar gerade als weiße Person. Das Gefühl von Vorwürfen schwingt immer mit und es ist verständlich, dass eine defensive Position eingenommen wird. »Ich bin doch kein Rassist«, hört man beinahe täglich. In den meisten Fällen ist das wahrscheinlich auch wirklich wahr, aber das reicht nicht. Weiße müssen ihre eigenen Privilegien erkennen und sich aktiv gegen Rassismus – offen wie unterschwellig – stellen.
Ein erster Schritt ist es, sich zu informieren und zuzuhören. Es gibt viele Schwarze Autor*innen, die zum Thema Rassismus und Diskriminierung schreiben. Mit Sachbüchern informieren sie über Missstände, erzählen von persönlichen Erfahrungen und warten mitunter mit schockierenden Fakten auf. Auch in den Bereichen Kinder- und Jugendbuch, Belletristik und Spannung gibt es viele Bücher, die aus einer fiktiven Perspektive Einblick in die Realität geben.
Bei alldem dürfen wir aber eines nicht vergessen: Menschen, die unter Rassismus leiden, dienen nicht der Unterhaltung. Es ist wichtig, sich mit der Leidensgeschichte zu befassen, auch um die eigenen Privilegien besser zu verstehen, aber Schwarze Menschen haben unendlich viele Geschichten zu erzählen, die mindestens genauso viel Beachtung verdienen. Wir dürfen auch hier Schwarze Menschen nicht auf ihre Hautfarbe und ihre damit verbundenen negativen Erfahrungen reduzieren.
Viele behaupten, dass ihnen die Hautfarbe egal ist. Doch das darf es nicht – nicht, solange hauptsächlich Weiße in unserer Gesellschaft Platz einnehmen. Rassismus geht uns alle an, denn auch stille Akzeptanz fördert die Diskriminierung. Es muss selbstverständlich werden, dass unsere Gesellschaft bunt ist, und das spiegelt sich auch im Bücherregal wider.
* In diesem Artikel schreibe ich bewusst »Schwarz« groß und »weiß« kursiv. Es geht bei Schwarz nicht um die tatsächliche Hautfarbe, sondern eine konstruierte Zuordnung zu einer Gruppe mit Rassismuserfahrung. Weiß beschreibt ebenso wenig eine biologische Eigenschaft, sondern eine privilegierte Machtposition im Rassismusgefüge. Diese Schreibweisen entstammen den »Formulierungshilfen für die Berichterstattung im Einwanderungsland« der Neuen deutschen Medienmacher*innen von 2015.
Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten
Sachbuch, 208 Seiten, www.hanser-literaturverlage.de
Eindringlich und geduldig beschreibt Hasters, wie Rassismus ihren Alltag als Schwarze Frau in Deutschland prägt.
Alexi Zentner: Eine Farbe zwischen Liebe und Hass
Roman, 376 Seiten, www.suhrkamp.de
Eindrucksvolles Porträt eines jungen Mannes, der in einem von Fanatismus und Gewalt geprägten Milieu aufwächst.
Angie Thomas: The Hate U Give
Jugendbuch, 528 Seiten, www.randomhouse.de
Die hochemotionale Geschichte der jungen Starr zwischen Polizeigewalt, Rassismus und Protesten – brandaktuell und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Chimamanda Ngozi Adichie: Die Hälfte der Sonne
Roman, 640 Seiten, www.fischerverlage.de
Eine Geschichte über Liebe und Verrat, Rassismus und Loyalität und das Leben im zerstörerischen Alltag des Krieges im Nigeria der 1960er-Jahre.
Tomi Adeyemi: Children of Blood and Bone – Goldener Zorn
Jugendfantasy, 642 Seiten, www.fischerverlage.de
Unglaublich vielschichtiges Fantasyabenteuer mit starken Figuren und einer klaren Kampfansage gegen Ungerechtigkeiten.
Tupoka Ogette: Exit Racism – rassismuskritisch denken lernen
Sachbuch, 136 Seiten, www.exitracism.de
Hilfreiche Anleitung, sich selbst und das eigene Umfeld kritisch zu beobachten und antirassistisch zu handeln.