Ausstellungen & Kunstprojekte

Die Bienen von Chengdu

Fein geflochtene Kiepen hängen in der Schwäbischen Galerie in Oberschönenfeld von der Decke, an der Wand sind staubwedelartige Bambusstäbe aufgereiht, gekrönt jeweils mit einem Büschel aus Hühnerfedern. Beides gehört zur Ausrüstung chinesischer Bäuer*innen, die seit Jahren eine Aufgabe übernommen haben, die zuvor Bienen ausführten: Sie bestäuben ihre Obstbäume von Hand. Nur so ist es möglich, Früchte zu ernten, ohne diese Arbeit wäre da nichts, denn es gibt in den Dörfern um Chengdu in der Provinz Sichuan keine Bienen mehr.

In Sichuan hatte man in den 1950er-Jahren begonnen, Vögel als vermeintliche Ernteräuber auszurotten und damit eine Kette des Verschwindens ausgelöst. Um die Insekten loszuwerden, die zuvor von den Vögeln gefressen wurden, setzte man Insektizide ein, die aber auch die Bienen töteten. So übernahmen dann notgedrungen die Menschen das Bestäuben. Geduldig und sorgfältig nehmen die Bäuer*innen die Herausforderung an, klettern in die Bäume und tragen die Pollen mit dem Mini-Staubwedel auf. Bienen sind ein wesentlicher Faktor im Kreislauf der Natur, sie sorgen (noch) für Ernteerfolg, sichern so die Ernährung der Menschen. Welche Folgen das Verschwinden der Bienen hat, lässt sich in Chengdu beispielhaft beobachten.

Maximilian Prüfer hat 2017 ein Reisestipendium des Bezirks Schwaben erhalten, das ihm mehrere Reisen in die Provinz Sichuan für sein Projekt BIEN ermöglichte. BIEN? Damit ist der Superorganismus des Bienenvolks gemeint, eine fraktale Struktur, bei der die einzelne Biene als singuläres Lebewesen eine Rolle spielt, vor allem aber die Gesamtheit eines Bienenvolks wie ein Lebewesen agiert.

Prüfer hat die Menschen in Chengdu bei ihrer Arbeit begleitet, ihr Tun filmisch festgehalten und auch selbst das Bestäuben erlernt. Um zu zeigen, dass jede bestäubte Blüte eine Frucht hervorbringt, hat er einen Birnbaum erworben und bei diesem nur eine einzige Blüte bestäubt. Die daraus hervorgegangene einsame Birne liegt nun als Bronzeguss inmitten der Installation BIEN.

Zentraler Bestandteil von Prüfers konzeptueller Ausstellung ist der Film, keine Dokumentation, sondern künstlerisches Mittel, das auch die Poesie der Situation transportiert: Der Mensch als Teil und Helfer der Natur, die Hingabe, mit der die Herausforderung angenommen wird. Die gezeigten Werkzeuge der Bauern werden so mit zusätzlicher Bedeutung aufgeladen, präsentieren sich hier stellvertretend für ihre Benutzer, zeigen aber auch ihren Zauber.

Keine Bienen, kein Honig: Darauf weist Prüfer mit einem üppig bernsteingolden-schimmernden Glas voller Honig hin. Den Zusammenhang von Blüten und Honig schließlich stellen kleine Bilder an den Wänden her, die sich als Blüten erweisen, die Prüfer in Honig in flachen Rahmen eingelegt hat – Natur umschließt Natur.
Maximilian Prüfer ist kein Dokumentarist, BIEN ist eine konzeptuelle Performance, bei der die einzelnen Elemente der Installation auf verschiedene Aspekte hinweisen und sich so zu einem umfassenden Kommentar zur Beziehung von Mensch und Biene verbinden. Jahrzehnte zurückliegende Fehlentscheidungen hatten weitreichende Folgen. Prüfer weist nicht mit erhobenem Zeigefinger nach China, aber wie unter einem Brennglas wird anhand dieses relativ kleinen Gebietes deutlich, was passiert, wenn wir Menschen weltweit nicht umdenken.

Prüfer weist mit seiner Arbeit auch auf ein seit der Antike verfolgtes Interesse an der sozialen Organisation der Bienen hin. Hier stand weniger das einzelne Tier im Fokus, sondern der Bienenstaat, der als (mögliche) Analogie zu menschlichen Gesellschaftsstrukturen gesehen wurde und wird. Wenn, wie in Chengdu, Menschen tun, was zuvor Bienen taten, erhalten sie wie diese Natur als Reservoir des Lebens und somit auch ihr eigenes Sozialgefüge. Dieser sich aufdrängende Vergleich macht aber auch deutlich, dass die Bienen für die Aufgabe des Bestäubens weit besser geeignet sind als Menschen.

Die auf den ersten Blick karge Installation erschließt sich der geduldigen Besucher*in langsam, Aspekt um Aspekt wird deutlich, doch bleibt die Komplexität des Ganzen erhalten. So einfach ist das alles schließlich nicht … Die Räume der Schwäbischen Galerie sind ein schwierig zu bespielendes Terrain, doch Prüfer hat hier eine schlüssige Arbeit installiert, die die Brisanz des Verschwindens der Bienen klug und kunstvoll vor Augen führt.

PS: In Chengdu kehren die Bienen zurück. Was lernen wir daraus?

Maximilian Prüfer – BIEN, Schwäbische Galerie im Museum Oberschönenfeld, bis 24. November, Führungen am 10. und 17. November, Künstlergespräch am 24. November.
www.mos.bezirk-schwaben.de

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