Die erste Musiktheaterpremiere der Saison am Theater Augsburg, »Der König Kandaules«, überzeugt mit philosophischer Tiefe und allegorischer Ambivalenz.
In der Falle der Fülle

Die Geschichte um den König Kandaules findet sich schon bei Herodot und Platon. Alexander von Zemlinsky fand den Stoff für seine Oper bei André Gide, der sein Drama »Le roi Candaule« 1899 schrieb. Drei Schicksale ringen um das seelische Glück in einem Reich der inneren Leere, des Überdrusses und der verlorenen Werte. Mit den Fragen, die die Geschichte aufwirft und die der Regisseur Søren Schumacher in seiner Inszenierung mit perfekt besetzten Rollen aufzuzeigen versucht, beschäftigt sich die Menschheit seit Anbeginn der Zeit. Ist der Zerfall der Seele die unabdingbare Folge der Aufklärung und der Fülle? Warum bleibt das Glück verborgen, obwohl man alles Erwünschte erreicht hat? Wieviel Glück ist genug?
Der Verfall der menschlichen Seelenzustände spiegelt sich bereits in der Gestaltung des dreischichtigen Raumes wider: Der Bühnenbildner Paul Zollner lässt im ersten Akt die umgestürzten einst prächtigen antiken Säulen auf der Oberfläche liegen, die Wände werden mit den verschmierten, einst aufwendig gestalteten Ornamenten »geschmückt«. Doch auf der Bühne geht das Fest noch in all seiner trunkenen Üppigkeit weiter, die hörigen Zwerggestalten mit riesigen Händen glauben noch an ihr illusorisches Glück und genießen es sichtlich. Genauso wie der König Kandaules (Mathias Schulz), der mit seiner Macht weise umzugehen weiß und das Volk gerne an seinem Reichtum, sei es auch die Schönheit seiner Frau, teilhaben lässt. Doch in seinem Inneren ist er längst degradiert, was sein Äußeres in grotesken Deformierungen projiziert. Der Kampf zwischen den gegensätzlichen seelischen Regungen, ausgelöst durch den dekadenten Überdruss, beginnt. Dabei gelingt es Mathias Schulz ausgezeichnet sowohl sängerisch als auch schauspielerisch die ambivalenten Emotionen wiederzugeben.
Die verschleierte und im 2. Akt ans Bett gefesselte Nyssia (Sally Du Randt), am Anfang der Handlung noch als Unterworfene, entwickelt sich im Laufe des Spiels zu einem Sinnbild der Freiheit. Das Kostümbild (Annette Braun) unterstreicht die befreiende Entwicklung des weiblichen Charakters: Der pechschwarze Schleier wird abgeworfen, auf ein das Männerauge bedienendes reizvolles Nachtgewand folgt ein prächtiges Kleid in königlichem Blau. Durch den Verrat ihres Mannes, der sie zu einem Objekt seiner Degradierung macht und an den Fischer Gyges übergibt, erwacht die weibliche Kraft, die Du Randt in der letzten Szene hervorragend und stimmlich stark zum Ausdruck bringt.
Diese Szene wird auch vom Dirigenten Domonkos Héja, der seine erste Opernaufführung am Theater Augsburg souverän meistert, mit einem farbenfrohen ausgebreiteten Klang besonders akzentuiert.
Dabei begeht der zwischen Gerechtigkeitssinn und Verführung erstarrte Gyges – der gefeierte Favorit des Publikums Oliver Zwarg, in der Rolle gesanglich fabelhaft – einen Doppelverrat, indem er am Ende seinen neugewonnenen Freund Kandaules ersticht. Die Treue, vor allem zu sich selbst, erhebt sich in diesem Zusammenhang zu einer der wichtigsten Komponenten des Glücks.
Die nächsten Vorstellungen der Oper finden am 01.10., 14.10. und 25.10. statt.
Weitere Informationen unter www.theater-augsburg.de