Das Staatstheater Augsburg startet mit dem kaleidoskopisch schrägen Familienstück »Luzid« in die neue Spielzeit.
Familienaufstellung

Lucas feiert mit seiner Schwester Lucrezia und Mutter Teté seinen 25. Geburtstag. Man sitzt in einem Asia-Restaurant, alles hübsch in rot und schwarz, einschließlich Lampions und obligatorischem Aquarium (Bühne und Kostüme: Justus Saretz). Doch was hier in den ersten Minuten als Boulevardtheater dahingeplänkelt wird, wandelt sich bald zu einem veritablen Familiendrama. Aber die nächsten Volten folgen auf dem Fuß, denn Lucas bedient sich der Methode des Klartraums, des bewussten steuerbaren Träumens, mit dem er seine eigene Wirklichkeit konstruieren kann.
Von Szene zu Szene fügen sich die Mosaiksteine zu einem großen Bild, doch irgendwie scheint es falsch zusammengesetzt zu sein. Eineinhalb Stunden lang werden den Zuschauer*innen permanent neue Varianten angeboten, bei denen mal die eine, mal die andere Person mit ihren Gründen in den Fokus rückt. Fasst man Zutrauen zu einer Figur, kann man sicher sein, dass sich kurz darauf die Geschichte aus einem völlig anderen Blickwinkel zeigt. Das Publikum wird auf schwankenden Boden gelockt und wähnt sich nicht nur in einer ständig sich wandelnden Wirklichkeit, parallel rauscht das Stück von der Farce zum Drama kreuz und quer durch die theatralen Varianten. Und zunehmend beschleicht die Zuschauer*in eine latente Gewissheit, dass da irgendwas nicht stimmen kann … Die Auflösung erfolgt erst in den allerletzten Minuten, überraschend aber logisch. Hätte man sich ja denken können … Oder ist auch das lediglich eine weitere Möglichkeit? In einer Hinsicht auf jeden Fall, denn das alles ist schließlich Theater.
Hausregisseur David Ortmann hat die deutsche Erstaufführung von »Luzid«, einem Stück des Argentiniers Rafael Spregelburd, mit lokalen Akzenten versehen, so wird die Augsburger Frühjahrsausstellung erwähnt. Das kommt ein wenig provinziell rüber, als ob man dem Publikum die Fähigkeit zum Transfer nicht zutraut. Doch davon abgesehen hat Ortmann das mäandernde Familienbild in seiner Zerrissenheit und Unklarheit straff auf die Bühne gestellt. Das Geschehen wird akustisch von Tubist Fabian Heichele akzentuiert (oder kommentiert?), der seinem Instrument erstaunliche Töne entlockt. Ute Fiedler (Teté), Katharina Rehn (Lukrezia), Neuzugang Julius Kuhn (Lucas) und Roman Pertl (Philipp/Kellner) machen mit vereinten Kräften klar, wie diese zerbrochene Familie (nicht) funktioniert, wie sie sich isoliert aneinander abarbeiten. Eine uneindeutige Erzählung, eindeutig gutes Theater!
Abbildung: Ute Fiedler als Tetè und Katharina Rehn als ihre Tochter Lucrezia in »Luzid«. Foto: Jan-Pieter Fuhr
Die nächsten Vorstellungen am 4., 9., 19. und 25. Oktober
www.staatstheater-augsburg.de