Klassik
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Ein Gaskessel Dunkles

a3kultur-Redaktion

Mit »Gasworks« legt der Augsburger Soundartist Gerald Fiebig seine Premiere auf dem renommierten Label Grünrekorder vor. Die CD versammelt Klanginstallationen, Radiostücke und Live-Performances, in deren klanglich-thematischem Mittelpunkt das ehemalige Gaswerk in Augsburg-Oberhausen steht. Die von 2010 bis 2018 reichenden Arbeiten entstanden zum Teil zusammen mit Kollegen wie EMERGE und Christian Z. Müller. Verfremdete Gas- und Industriegeräusche, O-Ton-Erzählungen des langjährigen, mittlerweile verstorbenen Gaswerk-Mitarbeiters Johann Artner und Live-Improvisationen im Hallraum des großen Gaskessels bilden das kompositorische Material des Albums. Ergebnis ist ein Senderdurchlauf aus Drones, Ambient, Dokumentarischem und Musique concrète – trippy und schwärend. Im Ganzen – um den Titel einer alten DDR-Samstagabendshow abzuwandeln: ein Gaskessel Dunkles.

Der fast 16-minütige Opener »post-industrial« ist ein Auszug aus einer Klanginstallation im so genannten Apparatehaus des Gaswerks, präsentiert im Rahmen des »Grenzenlos«-Festivals 2014. Das Stück beruht auf dem Klang von Gas, das aus einem Küchenherd strömt (soundtechnisch bearbeitet von Fiebig), vermengt mit den Geräuschen aus einem nahe gelegenen Fabrikgebäude, unterzogen dem Soundprocessing von Augsburgs EMERGE. Das Klangergebnis vermittelt einem das Gefühl, selbst in einer – vielleicht von Putin errichteten – Gaspipeline zu liegen, und rauschend, dröhnend und Oberton-umflort von Propan umströmt zu werden. Dunkle Harmonien lagern sich zum Schluss an.

Soundscapes & Soundscaping
Die Stücke »Ohrentauchen mit Echolot« 1 und 2 bilden Ausschnitte aus einer Performance im großen Gaskessel im Rahmen des 2016er-Festivals »Asche zu Farbgut«. In dem 84 Meter hohen Metallkessel erzeugte Fiebig – live inmitten eines um ihn herum sich bewegenden Publikums – durch den Einsatz unverstärkter Werkzeuge, Spielzeuge, Instrumente, seiner Stimme und seinem Körper Klänge, wobei auch auf die Metallflächen des Kessels selbst geschlagen wurde. Die Performance evoziert einen inszenierten Klangraum aus dumpfen Schlägen und Sounds, aus Hall und Echo. Ein Stück, dessen performativer Charakter eindeutig zu hören ist, ist eher Klangforschung als denn zunächst Musique concrète.

Art for Artner
Beide »Ohrentauchen«-Kompositionen umrahmen das als drittes Stück in die Mitte der 5-Track-CD gesetzte »Nach der Industrie«. Als 26-minütiges Kernstück überrascht es zunächst als sprachliche Interview-Dokumentation. Zu hören ist die Stimme von Johann Artner, der über 40 Jahre lang, von der Nachkriegszeit 1947 bis hinein in die Kohl-Ära, bis 1989, im Gaswerk arbeitete. Wie das Gaswerk sein Leben, so umrahmen auf der CD die Audiostücke die Erzählungen Artners. Dem verstorbenen Zeitzeugen ist der Tonträger gewidmet. Seine Schilderungen im Augsburger Dialekt führen, ohne zu romantisieren, aber mit Verbundenheit ins Lokalkolorit und ins Humane eines – nicht immer schönen – Arbeits- und Identifikationsorts. Ausschnitte des zweistündigen Interview-Tonmaterials wurden mit verfremdeten Gasgeräuschen eines Küchenherds kombiniert. Eine (hochdeutsche) Transkription der Erzählungen Johann Artners findet sich übrigens als pdf-Download unter: www.geraldfiebig.net/gasworks.pdf. Das an ein Radiofeature, später an ein szenisches Hörspiel erinnernde Stück ist die überarbeitete Fassung einer Klanginstallation, die im Rahmen der Augsburger Langen Kunstnacht 2010 stattgefunden hatte.

Musique concrète
Das dreiphasige Schlussstück der CD, »Echoes of Industry«, eine im Jahr 2015 für das tschechische Radio Vltava produzierte Arbeit, ist inmitten all der abstrakten Klangstücken die näheste Annäherung an konventionelle, wenn auch erweiterte Musikbegriffe. Musique concrète verschmilzt hier mit Neuer Musik, Impro und Freejazz-Einflüssen. Die fruchtreiche Begegnung von Gerald Fiebig und dem Augsburger Musiker Christian Z. Müller beginnt mit harscher, an industrielle Vorgänge mahnende Klangserialität und bricht dann um in mal experimentelle, mal sogar impressionistische Musik; ein Saxofon nimmt einen improvisierten Dialog mit Maschinenklängen auf, Thereminklänge weben Atmosphäre ein. Das Geräuschgeschehen ist zudem die Begegnung zweier Augsburger Industriedenkmäler, zum einen des Gaswerks, zum anderem des Staatlichen Textil- und Industremuseums: das Innere des großen Gaskessels wurde mit Aufnahmen von Textilmaschinen beschallt.

Augsburg united
Die auf »Gasworks« versammelten Arbeiten nahmen fast prophethisch vorweg, dass heute die Kunst in die denkmalgeschützte Gaswerks-Anlage eingezogen ist: Das Gelände wird ein Kreativquartier aus Proben- und Atelierräumen und eine Spielstätte des Staatstheaters Augsburg. Grafisch gestaltet wurde das Album von Martina Vodermayer unter Verwendung historischer Archivbilder und Fotos von Sigrun Lenk und Vodermayer selbst. Die bildende Künstlerin (Gruppe »Extrasalon«) und Designerin beschäftigt sich u.a. in fotografischen Arbeiten ebenfalls seit Jahren mit dem Gaswerkgelände. Die Produktion der CD (Veröffentlichungsdatum: 15. März 2019) wurde unterstützt von der Arno Buchegger Stiftung, der Kurt und Felicitas Viermetz Stiftung und dem Verein Gaswerksfreunde Augsburg.

www.gruenrekorder.de
www.geraldfiebig.net

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