Mit Händels konzertant aufgeführter Oper »Giulio Cesare in Egitto« wurde im Rahmen der »un*er*hört«-Reihe der Bayerischen Kammerphilharmonie glänzendes Talent geschmiedet und das Publikum mit einem herausragenden Konzerterlebnis verwöhnt.
Heroisch, konzertant, brillant

Auf der ganzen Linie ausbezahlt hat sich die Entscheidung der Bayerischen Kammerphilharmonie, ihr Konzert am 12. März im Kleinen Goldenen Saal trotz Corona-Krisenstimmung stattfinden zu lassen. Vermutlich wird dieser erlesene Konzertgenuss lange im Ohr bleiben, um die wohl lange kulturelle »Absage«-Durststrecke zu überwinden! Das risikobereite, leider zahlenmäßig reduzierte Publikum wurde vom immensen Talent der jungen Sänger*innen aus den Hochschulen München und Stuttgart sowie den beiden Nachwuchs-Dirigenten knapp drei Stunden lang mit exquisiter Stimmkultur und virtuos gespielter Alter Musik aus der Feder von Händel verwöhnt. Im Rahmen des Förderprogramms des Deutschen Musikrats für den Spitzennachwuchs am Dirigierpult präsentierten die Bayerischen Kammerphilharmoniker in diesem Jahr Georg Friedrich Händels (1724 uraufgeführtes) barockes Meisterwerk in konzertanter Höchst-Form. Und natürlich war es interessant, die durchaus unterschiedlichen Dirigate des gebürtigen Ukrainers Artem Lonhonov und des Belgiers Martijn Dendievel im direkten Vergleich zu erleben.
Beide erzielten überzeugende künstlerische Resultate, ließen jedoch unterschiedliche Temperamente in ihrer »Arbeit« mit dem Orchester und den Solist*innen erkennen. Im ersten Teil agierte Lonhonov mit eher zurückhaltender und auf Schlagpräzision achtender Noblesse, während Dendievel nach der Pause seine elegant-tänzerische Impulsivität und sein Selbstbewusstsein nutzte, um das flexible Orchester noch intensiver zur affektbetonten Interpretation im Sinne historischer Musizierpraxis zu motivieren. Das Mitlesen der Arien-und Recitativo-Zeilen der (von Maestro Allessandro De Marchi als Mentor des Projekts gekürzten) Konzertfassung verwirrte bisweilen, was angesichts des turbulenten Librettos von »Julius Cäsar in Ägypten« wenig wundert. Wie oft in Opern dreht sich auch hier alles um die großen Themen Macht/Kampf, Liebe, Rache/Intrige sowie das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturen. Und wie oft bei diesem Komponisten ist es die hohe Kunst, seine Protagonisten akribisch zu charakterisieren, die den Hörer immer wieder verblüfft und konzertanten Fassungen logischerweise in die Hände(l) spielt.
Kleopatra dominiert dank acht glanzvoller Arien, in denen sie ein facettenreiches emotionales Spektrum ausleuchtet. Das kostete die technisch in jedem Moment souveräne Sopranstin Flore von Meerssche mit einer raumfüllenden, reif und ausgefeilt klingender Stimme genüsslich aus. Die tugend- und heldenhafte Titelfigur, die ins Schwärmen geraten kann etwa im virtuosen Dialog mit Solo-Horn (großartig Felix Winkler!) oder Solo-Violone (ebenso feinsinnig Gabriel Adorjan mit dem im Laub verborgenen Vogelsang!), war mit Seda Amir-Karayan optimal besetzt, die ihre tief timbrierte, maskuline Stimmseite vorteilhaft einsetzte. Den qualvollen Witwenschmerz der auf Rache sinnenden »Cornelia« und damit die melancholische Färbung zeichnete Elena Tasevska überzeugend nach - insbesondere das exquisit gelungene Lamento-Duett mit Sextus (bestechend kühn und grimmig in dessen Partie Celine Akcag) berührte am Ende des ersten Akts (»Zum Weinen bin ich geboren…«) fraglos auch jede Hörerseele. Den Altus-Part des intriganten Ptolemäus verkörperte Pildoo Ji mit gebotener Schärfe und Emphase, während Leonhard Geiger als Feldherr Achilla und profunder Bass für Ausgleich im Sextett der erregten Gemüter sorgte.
So war die szenische Auslassung an diesem bemerkenswerten »Opern«-Abend definitiv kein Defizit. Ganz im Gegenteil bezauberte der kunstfertige Umgang mit der barocken Dynamik und der dramatischen Wucht dieses Werks, das die Orchestermusiker gemeinsam mit den jungen und starken Solisten mit Bravour ausgestalteten. Im finalen Rezitativ gönnt der siegreich nach Rom zurückkehrende Julius Cäsar den Ägyptern den Genuss der neuen Freiheit in einem befriedeten Zustand und wünscht die Verbreitung seines Namens »von einem Pol zum anderen« … in Pandemiezeiten durfte man da schon mal schmunzeln, bevor es für alle Mitwirkenden verdient lauten Beifall gab!