Das Jubiläumskonzert der »bayerischen kammerphilharmonie« wurde bei BR-Klassik ausgestrahlt.
Jubeljahr-Abschluss im Radio

Jubiläum feiern ohne Publikum?! Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, was – und man mag es wirklich nicht mehr in die Tastatur tippen – das Corona-bedingte Ge- bzw. Verbot für die Musiker der »bayerischen kammerphilharmonie« bedeutete. Und doch fand sich hier eine mehr als passable Alternative: Das Konzert, mit dem am 22. November im Parktheater im Kurhaus Göggingen das Jubiläumsjahr betont wurde, strahlte am vergangenen Samstag BR-Klassik zur Primetime und in weitaus besserer Tonqualität als jedes Streaming das schafft aus.
Wie nicht anders zu erwarten, überzeugte der Klangkörper mit einem auserlesenen, fast schon als philosophisch, in jedem Fall tiefgründig zu bezeichnenden Programm. Die mystische Auftragskomposition »Vertigo Walls«, die der Augsburger Komponist Patrick T. Schäfer beisteuerte, hatte es angesichts des eindrucksvollen »Kollegen«-Umfelds allerdings nicht wirklich leicht, sich im Hörer-Ohr zu behaupten. Interessant war der Kerngedanke, dem brillant-leuchtenden (Scheele)-Grün, das der schwedische Apotheker Carl Wilhelm Scheele Ende des 18. Jahrhunderts dank der Beimischung des toxisch wirkenden Arsen in Umlauf brachte, ein musikalisches »Denk-mal (drüber nach)« zu setzen. Dieser Gefahr verheißenden Mixtur mit hypnotischen Effekten kam das Werk mit raffinierter Farbgebung und blendendem Anstrich in jedem Fall sehr nah.
Den Auftakt machte kein Geringerer als der in allen musikalischen Genres bewanderte, mit raffinierten Musiktheater-Wassern gewaschene, in Neu-Ulm geborene Komponist Wilfried Hiller (*1941) mit seiner elegant arrangierten »Catulli Carmina«-Suite für Streichorchester von Carl Orff. Sie schien das Streichorchester unter der Leitung von Konzertmeister Gabriel Adorján zu adäquater klanglicher Transparenz und Delikatesse zu animieren. So genoss man einen einnehmenden, fast schwebenden Beginn des Festkonzerts, das mit seiner Überschrift »unbelievable: Jubeljahr« den Corona-Nagel auf den Kopf traf. Zudem huldigte es im Beethovenjahr dem nahezu vergessenen anderen Jubilar Orff, der 2020 immerhin seinen 125. Geburtstag zelebriert hätte.
Im Zentrum standen fraglos aber die 1940 entstandene, in jeder Hinsicht vielschichtige musikalische Nachempfindung der »Vier Temperamente für Klavier und Streicher«. Paul Hindemith packte darin die in der Antike nach Körpersäfte-Qualität typisierten menschlichen Grundcharaktere nach einem eher neutralen Einleitungssatz in einen facettenreich schimmernden musikalischen Korpus. Im virtuosen Wettstreit von Pianist Alexander Schimpf und den Streicher-Soli oder Tutti-Passagen schlich sich die bleiern, schwarzgallige Traurigkeit ein, wurde abgelöst von der Hyperaktivität des Sanguinikers, bis der Phlegmatiker träge und teilnahmslos durch den Satz wankte, um zum Finale hin dem unberechenbar brodelnden Ausbrüchen des Cholerikers Raum zu gewähren. Kein Wunder, dass dieses tolle »Thema mit vier Variationen« rasch fürs Ballett – namentlich von Großmeister Balanchine – entdeckt und 1946 in New York auf der Bühne in Bewegung transformiert wurde. Die poetische, klangschöne, sehr sangliche »Serenade nach schwedischen Melodien op. Posth« würdigte dank der elegant-tänzerischer Spielenergie des Orchesters im romantischen Abschluss den dritten Jubilar des Abends: Max Bruch. Der ewig unterschätzte bzw. fast ausschließlich ob seiner Violinkonzerte noch im Konzertbetrieb präsente Komponist, der 2020 seinen 100. Todestag hat, würde in jedem Fall mehr Beachtung verdienen.
Davon kann auch die seit drei Jahrzehnten auf konstant sehr hohem Niveau spielende »bayerischen kammerphilharmonie« derzeit ihr Lied bzw. Leid singen – doch zunächst »Bravo! Bravissimo!« für das Konzert im Radio und auf diesem Online-Kanal in jedem Fall: »Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum!«
Die Sendung ist bis zum 12. Januar »nachhörbar«!
www.br-klassik.de/programm/radio/ausstrahlung-2314314.html
Der Geschäftsführer der »bayerischen kammerphilharmonie« Valentin Holub wurde neben anderen Kulturschaffenden von a3kultur gefragt: »2021: Schon was vor …?« Demnächst nachzulesen in unserer Januar-Ausgabe.
Foto: Uli Neumann-Cosel