Staats- und Stadtbibliothek Augsburg: Perspektiven und Strategien nach der Verstaatlichung. Ein Gastbeitrag von Dr. Reinhard Laube
Mehr als Altpapier

Eine Bibliothek mit Profil und historisch eingeschriebenen sowie zukunftsfähigen Perspektiven ist mehr als eine geordnete Sammlung von Altpapier. Das galt für die 1537 begründete Staats- und Stadtbibliothek Augsburg in städtischer Trägerschaft und gilt ebenso für das im Jahr 2012 in staatliche Obhut überführte Haus, das der Tradition einer großen Sammlung verpflichtet bleibt. Sie gehört nun zu dem Verbund der bayerischen staatlichen Bibliotheken und hat den Auftrag, als bayerisch-schwäbische Staatsbibliothek der Öffentlichkeit eine innovative und serviceorientierte Forschungs- und Regionalbibliothek anzubieten. Inhaltlich geht es um die Ausrichtung als regionalorientierte Archiv- und Forschungsbibliothek für die Reichsstadt Augsburg, Bayerisch-Schwaben und die Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit. Baulich geht es darum, die Bibliothek in einem denkmalgeschützten Gebäude als einen öffentlichen Raum zu ermöglichen, als einen Erinnerungsort mit einem kulturellen Angebot für Augsburg und Bayerisch-Schwaben.
Am 26. November 2014 hat die Bibliothek die Perspektiven der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg nach der Verstaatlichung zum Gegenstand eines Kolloquiums gemacht. »Die Zukunft der Memoria« war Titel der Veranstaltung und bildet zugleich den Leitfaden einer programmatischen und strategischen Ausrichtung der Bibliothek, die den umfassenden Begriff der Memoria in der Fülle seiner Bedeutungen in den Mittelpunkt stellt. Das Phänomen der Memoria erläuterte der Berliner Mediävist Otto Gerhard Oexle im Allgemeinen und mit Blick auf die Gründungsphase der Sammlung im Besonderen, und zwar unter dem Titel »Die Memoria der Reformation«. Dabei geht es zunächst um die »Memoria als eine spezifische Form des kulturellen Gedächtnisses. Sie bedeutet die Überwindung des Todes und des Vergessenes durch Gedächtnis und Erinnerung«, aber auch »objektivierte Formen von Memorialüberlieferung im weitesten Umfang, nämlich Texte, Bilder und Architektur, Denkmäler und Riten, Geschichtsschreibung und Dichtung.« Bibliotheken gehören zu den Institutionen, die Memoria verwahren und in der Erschließung und Vermittlung gestalten. Das ist die Zukunft der Memoria, die in ihrer adäquaten Verwahrung und Beschreibung zukunftsfähig wird. Auf diese Weise gerät auch die Memoria in den Blick, für die die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg steht und die im Zuge ihrer Aufgabe als regionalorientierte Forschungsbibliothek sichtbar werden soll, durch Erforschung und Erschließung sowie bauliche und bibliothekarische Vermittlung.
In Probebohrungen zum Forschungspotenzial der Sammlung haben verschiedene Beiträge zum Kolloquium Perspektiven für weitere Projekte der Erschließung und Erforschung vorgestellt: So wies der Historiker Rolf Kießling auf »Konrad Peutingers Vermächtnis als Forschungsgegenstand« hin und der Musikwissenschaftler Franz Körndle auf die hier verwahrte Orlando-di-Lasso-Überlieferung. Mit Blick auf die Bibliothek der Familie von Stetten wurden »Bausteine für den Erinnerungsraum Reichsstadt« vorgestellt (Barbara Rajkay). Ein Projekt zur Rekonstruktion der Bibliothek des Klosters Irsee (Helmut Zäh) verweist auf die Bedeutung des Bestandes für Bayerisch-Schwaben, die auch eine Zusammenarbeit mit dem Schwäbischen Tagungs- und Bildungszentrum Irsee ermöglicht. Renate Pfeuffer hat mit der »Bibliothek des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben« ein Juwel der Staats- und Stadtbibliothek neu sichtbar gemacht und zugleich in eine aktuelle Ausstellung im Cimeliensaal des Hauses eingeführt, die Friedrich Heinrich Wilhelm Martinis »Neues Systematisches Conchylien-Cabinett« im Zusammenhang mit anderen Objekten der Sammlung präsentiert.
Der Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek verwies zwei Jahre nach der Verstaatlichung auf das bereits Erreichte und betonte vor allem die Fortschritte bei den Infrastrukturmaßnahmen und der baulichen Neukonzeption. Bevor mit einer großen Baumaßnahme begonnen wird, werden bereits jetzt dringende Sanierungsarbeiten und bestandserhaltende Maßnahmen umgesetzt, die den Betrieb des Gebäudes sicherstellen und den historischen Buchbestand schützen. In den Bauplanungen ist vorgesehen, neben einem attraktiven öffentlichen Raum für die Angebote der Bibliothek ein klimatisiertes Magazin für den herausragenden Altbestand mit angeschlossenen Lese- und Sonderlesebereichen sowie Büroflächen zu schaffen. Mit Erschließungs- und Digitalisierungsprojekten sowie einem auf die Region und die Themen der Sammlung zugeschnittenen Erwerbungsprofil wird der Bestand der Bibliothek laufend aktualisiert und für die öffentliche Nutzung aufbereitet. Als Archivbibliothek, die auch das Pflichtexemplarrecht für Bayerisch-Schwaben wahrnimmt und gefährdete Sammlungen sowie Vor- und Nachlässe übernimmt, sichert die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg die kulturelle Überlieferung der Region.
Ziel sämtlicher Planungen ist ein Haus, das die Bürger und Leser in Bayerisch-Schwaben mit Freude aufsuchen und mit Blick auf das hier verwahrte und ständig erweiterte kulturelle Gedächtnis der Region ihr Eigen nennen.
Dr. Reinhard Laube ist seit Ende 2013 Direktor der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg.