Brechtfestival: Premiere von Falk Richters »Airport Romance« »Electronic City« im Sensemble Theater
Menschen im Stand-by-Modus

Die Schattenseiten der digital vernetzten Gesellschaft sind hinlänglich bekannt. Der in vielen Branchen der modernen Arbeitswelt eingeforderte Stand-by-Modus ebenso wie die Flexibilität und die unbedingte Effizienz gehen an die Nieren, kosten Substanz und gehen insbesondere auf Kosten der menschlichen Liebesbeziehungen. Autor und Regisseur Falk Richter zählt zu den wichtigsten Stimmen der Gegenwartsdramatik und hat in seiner »Electronic City (Airport Romance)« den Wahnsinn alptraumhaft verdichtet, in dem sich pars pro toto auch die beiden Figuren Tom und Joy verlieren.
Beide – Tom als Broker, Joy als Kassiererin in einer Flughafen-Servicekette – sind permanent und rund um den Globus im Einsatz, sie selber wissen kaum, wo genau sie sich jeweils gerade befinden. Zu austauschbar, verwirrend unterscheidbar sind die Großstädte, die Arbeitsumfelder geworden. Die immer gleich gestylten Hotelzimmer suggerieren ein fadenscheiniges »Welcome Home« auf Zeit, lassen weder Individualität noch Identifikation mehr zu.
Diesen rasenden Stillstand, der zwangsläufig zum Kollaps führen muss, hat Sebastian Seidel als Regisseur mit seinen fünf Darsteller*innen Florian Fisch, Sarah Hieber, Birgit Linner und Jörg Schur eindringlich und mit entsprechender Dynamik und bereichernden Video-Sound-Einspielungen (Rainer von Vielen) auf die Bühne transportiert. Fitness first! Auf dem Laufband, am Stepper, am Rudergerät trainieren sie ihre Muskeln, laufen sich heiß und drehen sich dennoch im tödlichen Kreis der Entmenschlichung. Nach und nach treten Tom (Florian Fisch) und Joy (Daniela Nehring) aus dem Chor der im Takt tickenden Angestelltengruppe heraus, die sich zum ständig wiederholten Mantra der modernen Arbeitstugenden »authentisch, glaubwürdig, effizient, flexibel« ins emotionale Aus katapultiert. In monologisch verdichteten Rück- und Einblicken und geschickt ineinander verschachtelten Spielebenen samt abstrusem TV-Seriendreh streifen sie die jeweilige Arbeitswelt, in der sie reibungslos und automatisch agieren, bis ein Funktionsfehler ihr »System« drastisch zum Absturz bringt. Da helfen auch die verzweifelt abgesetzten Handy-Notrufe nicht, Tom und Joy bleiben »disconnected« …
Ein überzeugender Beitrag zum »Brechtfestival für Städtebewohner*innen«, der dank starker Ensembleleistung und raffinierter Regie den Publikumspuls beschleunigte.
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