Der Denkfehler in den Bonner Ministerien lag schon in der Bezeichnung der Menschen, die ihre Heimat verließen, um Ludwig Erhards Wirtschaftswunder auf die Füße zu helfen: Gastarbeiter. Der türkische Musiker Ata Canani formulierte das seinerzeit so: »Politiker wollen die ausländischen Arbeitnehmer wegschmeißen, als ob sie eine kaputte Maschine wären«. Doch wie Max Frisch erkannte – es kamen nicht nur Arbeitskräfte, es kamen Menschen. Menschen mit Familie, die Freundschaften schlossen und Musik machten. Canani war ein Star in der türkischen Community, und dass er nach 40 Jahren Bühnenabstinenz 2021 ein Album aufnahm, ist Autor Imran Ayata und Künstler Bülent Kullukcu zu verdanken, die unter dem Namen AYKU schon die zweite Folge »Songs of Gastarbeiter« (Trikont Verlag) veröffentlichten.
Im Rahmen des Diversity Tags der Stadt Augsburg führten sie im Tim in bester Laune in kleinen Kapiteln durch die Compilation und gleichzeitig durch 60 Jahre Zeitgeschichte der BRD – und der Popkultur. Denn auch wenn 800.000 verkaufte Exemplare einer Yüksel Özkasap-LP völlig an der deutschen Musikindustrie vorbeigingen, der Einfluss der zwischen Schraubenzieher und Saz pendelnden Arbeitskräfte ist nicht zu unterschätzen. Der dreckige Blues auf der Bağlama Cananis oder die psychedelischen Klänge der in der DDR gegründeten kambodschanischen Band Bayon fiel bei frühen Krautrockern wie Can auf fruchtbaren Boden; die Enkel der Gastarbeiter mischen heute anatolische Harmonien mit derben Beats und türkische Begriffe mit Berliner Slang.
Die Begeisterung, mit denen AYKU die alten Songs und Künstler*innen ausgegraben haben, nehmen sie mit auf die Bühne. Und sie haben in Form von Fotos und TV-Ausschnitten noch etwas dabei: einen kleinen Spiegel, durch den man direkt in die bundesrepublikanische Seele blickt. Biolek ertrinkt im Schnauzbartklischee, in Neu-Ulm wird per Annonce ein Stall als Unterkunft angepriesen und Liedermacher Metin Türköz warnt in einem Song seine Landsleute: »Nimm ja nicht einen Bankkredit auf!«. Anfang der 70er bemerkte der WDR die Unangemessenheit des Begriffs Gastarbeiter und startete einen Wettbewerb zur Neubenennung. Unter den 32.000 Antworten war Pragmatisches und Abschätziges. Am treffendsten wäre wohl gewesen: Mitbürger.
Fotos: Christian Menkel