Der vierteilige Tanzabend »Missing Link« feierte Premiere in der neuen Brechtbühne im Gaswerk.
Tanzende Leuchten & Mambo-Feeling

Nach dem Schauspiel trat jetzt auch Ballettchef Ricardo Fernando mit seiner energiegeladenen Company im vierteiligen neuen Tanzabend auf der neuen Interimsbühne im Ofenhaus/Gaswerk an, um das Publikum einmal mehr im Sturm zu erobern. Oft sucht man händeringend und mit zweifelhaftem Resultat nach einem treffenden Übertitel für einen Mehrteiler-Abend, der konzeptionell oder stilistisch sowie zeitlich unabhängig voneinander entstandene Werke unter einen Nenner bringt. Mit »Missing Link« – ursprünglich ein Terminus aus der Evolutionsbiologie – traf das Ballett Augsburg den Nagel clever auf den Kopf. Jedes der vier Kurzwerke schloss am Ende die Lücke, die zu Beginn von den Choreografen als Frage, als Hypothese, als Intervention oder als lustvolles musikalisches Statement in den Raum geworfen wurde.
Mit seiner in aberwitzig temporeiche Tanzsequenzen transferierten Meditationspraxis versuchte Ihsan Rustem in »Yidam« den unbezähmbaren, nach Fokus und Atem ringenden Kampf des Geistes auf dem Weg zu tibetisch-buddhistischen Erleuchtungsqualitäten nachzuempfinden. Das war sehr dynamisch und attackierte den Tänzer- ebenso wie den Zuschauerpuls! Michael Gordons »Weather One« steuerte den irgendwie sehr laut eingespielten und in Summe enervierenden String-Sound bei, bis das Ensemble nach »Raserei« auf die Zielgerade des befriedeten Geistes zusteuern durfte.
Als eingespieltes Team agierten Riccardo de Nigris und der Augsburger Künstler Felix Weinold (Bühne) samt Lichtdesigner Marco Vitale im philosophisch inspirierten »The Piece« – der einzigen Uraufführung des Abends. Als geistreiche »Störung« warfen sie einen großen, orangefarbenen Sitzsack in den roboterhaft konzipierten, präzise getakteten Alltag eines achtköpfigen Tänzerkollektivs. Aus Therapien weiß man, wie effektvoll oder heilsam derartige Irritationen die Routine durchbrechen und Veränderungsprozesse in Gang bringen. Die raffinerte Bühnen- und Lichtgestaltung samt Walzer tanzenden und am Ende einknickenden Neonleuchten stimulierten diese bildstarke Choreografie, die von den Tänzern mit sichtbarer Lust an innovativer Körpersprache auf die Bühne gebracht wurde.
Auf Nummer sicher ging Ballettchef Ricardo Fernando mit seinem bereits 2013 choreografierten Beziehungsduo »Voices«, das mit Lucas Axel de Silva und Naiara Silva de Matos optimal besetzt war. Zum Finale gab es ein großartiges Publikums-Geschenk in Form der lustvollen, von mitreißenden Mambo-Rhythmen geformten Party-Choreografie »18+1« von Gustavo Ramirez Sansano (*1978). Entstanden exakt 19 Jahre nach seinem Bühnendebüt, bestach dieses Stück mit Gespür für Timing, einnehmender Leichtigkeit und schierer Bewegungslust – auch das darf sein! Dafür und für den gesamten Abend, den zwei Umbaupausen allerdings etwas in die Länge zogen, wurde das derzeit vierzehnköpfige Ensemble wie immer und mit Recht euphorisch gefeiert.
Die weiteren Vorstellungen sind bereits ausverkauft.
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Foto (Jan-Pieter Fuhr): »The Piece«