Mit einem Gastspiel von Hans-Werner Kroesingers »FRONTex SECURITY« im Großen Haus wurde am 16. Juli das Rahmenprogramm zum Augsburger Hohen Friedensfest eröffnet.
In unserem Namen

Es ist der 11. Oktober 2013, als um ein Uhr morgens ein Fischkutter mit 480 Flüchtlingen an Bord die libysche Hafenstadt Suara in Richtung Europa verlässt. Neun Stunden später dringt mitten auf dem Mittelmeer Wasser in den lädierten Rumpf des Schiffs ein. Der syrische Arzt Mohanad Jammo, einer der wenigen Passagiere mit Englischkenntnissen, wählt die Nummer der italienischen Seenotrettung und gibt die Koordinaten durch. »Warten Sie!«, heißt es auf der anderen Seite der Leitung. Doch nichts passiert. Auch beim zweiten Anruf eineinhalb Stunden später erhält Jammo die gleiche Antwort: »Warten Sie!« Dasselbe Spiel. Der dritte Versuch: »Für dieses Gebiet ist Malta zuständig«, wird ihm nun gesagt. Jammo ruft in Malta an. Vier Stunden später, es ist inzwischen 17:10 Uhr, sinkt das Boot. Nur 212 Menschen können gerettet werden.
Diese unglaubliche Geschichte steht beispielhaft für viele Tragödien an den EU-Außengrenzen. Auch in Hans-Werner Kroesingers »FRONTex SECURITY« spielt sie eine Rolle – sie bleibt jedoch die einzige Szene seines Dokumentartheaters, in der die Sicht der Flüchtlinge im Mittelpunkt steht. Im Dezember 2013 am Berliner Theaterkombinat Hebbel am Ufer (HAU) uraufgeführt, rückt das Stück die »Gegenseite« in den Fokus: die 2004 gegründete Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, kurz »Frontex«. Das Ziel der Organisation ist es im Wesentlichen, den Grenzschutz zu stärken und die Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten zu kontrollieren. Die dafür von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Verfügung gestellten finanziellen und personellen Ressourcen wachsen Jahr für Jahr an.
Kroesinger und sein Team legten »FRONTex SECURITY « eine exakte und unglaublich arbeitsaufwändige Recherche zugrunde. Das Publikum wird einer Flut an Informationen, einer bewusst bis an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit getriebenen Überreizung ausgesetzt. Aus Strategiepapieren, Risikoanalysen, Verordnungen und Interviews schnüren die Theatermacher ein intensives Sprachpaket. Dabei kommentiert das vierköpfige, hervorragend aufgestellte Schauspielensemble nicht, es sampelt die abstrakte, bürokratische Diktion der Grenzschutzagentur und führender europäischer Politiker.
Es ist kein EU-Bashing, das Kroesinger hier betreibt. Vielmehr wirft er durch die Analyse des Systems Frontex unangenehme Fragen auf – und macht deutlich: Die Grenzschutzagentur agiert im Namen von uns allen. Seit der Uraufführung des Stücks hat sich an der auf Abschottung ausgerichteten Flüchtlingspolitik der Europäischen Union nicht viel geändert. Anpassungen der Inszenierung waren deshalb nicht nötig. Die Zahl der Toten an den EU-Außengrenzen ist währenddessen weiter gestiegen. Das ist kein Geheimnis. Es ist an jedem Einzelnen, sich zu verorten. Nach diesem, unseren europäischen Selbstverständnis fragt »FRONTex SECURITY«.
Das Rahmenprogramm zum Friedensfest widmet sich noch bis 8. August dem Thema »Grenzen«. Weitere Highlights finden Sie auf Seite 16 unserer aktuellen Ausgabe sowie unter: www.friedensstadt.augsburg.de