Das Staatstheater Augsburg bringt im martini-Park die Oper »Werther« von Jules Massenet zur Aufführung.
Verzweiflungsschuss als Lösung?

Goethe löste mit seinem Briefroman »Die Leiden des jungen Werther« eine »Freitod«-Welle unglücklicher Männer aus. Mit dem Roman bearbeitete er seine unerfüllte Liebe zu der schon verlobten Charlotte Buff. Sein Werther scheidet aus dem Leben, sein Roman wird zum Welterfolg.
Die Oper »Werther« des Franzosen Jules Massenet (1842–1912) ist angelehnt an Goethes Roman. Charlotte ist mit Albert verlobt. Davon erfährt Werther durch sein Liebesgeständnis. Nach weiterer Zurückweisung flieht er überstürzt. Charlotte gesteht sich selbst ihre Liebe ein. Werther erscheint, Charlotte sagt ihm Lebewohl, er bittet um zwei Pistolen von Albert, erhält von ihm eine. Charlotte stürzt aus dem Haus. Sie eilt zu Werther und findet ihn tödlich verletzt. Werther bittet sie um Verzeihung, sie gesteht ihm ihre Liebe, er stirbt. Goethe schloss seinen Roman ohne Charlottes Liebesgeständnis: »Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.«
Schwarze Vorhänge, Rokoko-Kostüme in Schwarz, schwarze Vögel wie Scherenschnitte aus Papier und als Video sowie verschiebbare Bauteile aus beigem Karton dominieren die Szene. Auf einem steht groß: »Fragile«, Zerbrechlichkeit andeutend. Die Personen bewegen sich teils stockend.
Natalya Boeva ist Charlotte mit ihrem Nein zu Werther; sie fürchtet, sich selbst zu verlieren, schwankt spät. In Gesang und Mimik beherrscht sie alle Stimmungen. Xavier Moreno verkörpert den zögerlichen, melancholischen und drängenden Werther, der seine Gefühlsausbrüche meisterlich aussingt. Wiard Witholt als Albert gibt den aristokratischen Freund Werthers und wird zu seinem Rivalen. Olena Sloias als Sophie kann Charlotte nicht aufheitern. Sänger der Domsingknaben intonieren Weihnachtsgesänge.
Die Philharmoniker wachsen über sich hinaus. GMD Domonkos Héja zaubert orchestralen Glanz: ergreifende Vor- und Zwischenspiele, zartes Violinsolo und düstere Stimmung bei Werther, ein Saxophon unterstreicht Charlottes Entsetzen und Trauer.
Zu erleben ist ein fein ausziseliertes Gesamtkunstwerk, als hätte die Aufwertung zum Staatstheater den Akteur*innen Flügel verliehen. Gratulation an André Bücker für seine bisher stimmigste Augsburger Inszenierung. Wer nicht hingeht, versäumt Wesentliches.
Begeisterungsstürme mit Hand und Fuß am Ende eines herausragenden Abends.
Die nächsten Termine unter:
www.staatstheater-augsburg.de/werther
Foto © Jan-Pieter Fuhr (bitte anklicken): Natalya Boeva als Charlotte und Xavier Moreno als Werther