In gleich zwei Konzerten ehrte man zum Jahresende in Augsburg den ebenso produktiven wie erst allmählich gebührend präsenten jüdischen Komponisten Mieczysław Weinberg, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiern würde.
Weinberg ehren und entdecken

In Warschau in eine Musikerfamilie hineingeboren, begann er als Zwölfjähriger sein Klavierstudium, musste 1939 fliehen und setzte in Minsk seine musikalische Ausbildung mit dem Kompositionsstudium fort. Zwei Jahre später zwang ihn der Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion erneut zur Flucht. Diesmal wurde Usbekistan zur neuen Heimat, bis ihm Schostakowitsch den Aufenthalt in Moskau ermöglichte – der Beginn einer fruchtbaren Musikerfreundschaft auf Augenhöhe, auch wenn Weinberg lange als der im Schatten Stehende galt. Jedes Weinberg-Werk lädt die Hörerschaft originell und dank fein schattierter und energiegeladener Finesse seiner Tonsprache auf eine emotionale Reise ins Innere ein. Fasziniert und gebannt lauscht man, um sich auf all die existentiellen, biografisch gespeisten Grenzerfahrungen einzulassen, um Überlebensangst, Schmerz und Trauer zu teilen. Auf der anderen Seite, meist in den Adagio-Sätzen, darf man dann aber die innig-melodiösen, lyrisch-sanftmütigen Fantasie-und Gegenweltentwürfe erleben, die unmittelbar klanglich Trost spenden, die das Vertrauen sowie Hoffnung auf Frieden und Erlösung entfalten.
Da fügte es sich bestens, dass Linus Roth als diesjähriger Artist in Residence vor einiger Zeit die „International M. Weinberg Society“ ins Leben rief und im 2. Sinfoniekonzert der Augsburger Philharmoniker „In Memoriam“ dessen 1959 geschaffenes Violinkonzert g-Moll op. 67 in den Fokus rückte. Schon die ersten, scharf attackierenden Takte machten deutlich, zu welch außerordentlicher Qualität der Interpretation dieser Grad an absoluter Vertrautheit mit Werk und Leben des Komponisten führen. Intensiv, und wo es sich anbot auch introvertiert, durchdrang Linus Roth als virtuoser „Fürsprecher“ die Partitur, brachte die verstörenden ebenso wie für die betörenden Details technisch und klanglich bezwingend zum Ausdruck, verdichtete den schnellen Puls und das Herzrasen des Werks, das im Adagio die Violine klagend Trauer tragen lässt. Dem euphorischen Publikumsbeifall antwortete er mit zwei Bach-Zugaben.
Die „Weinberg-Wochen“ perfektionierte das vorweihnachtliche und sehr gut besuchte Synagogenkonzert der „bayerischen kammerphilharmonie“. Unter dem Motto *1919 wurde das Jubiläumsprogramm mit der einnehmenden „Partita für Streicher“ von Gideon Klein bereichert, der ebenfalls 1919 (in Mähren) zur Welt kam und 1944 mit Musikerkollegen wie Pavel Haas oder Viktor Ullmann nach Auschwitz deportiert wurde. Dann sorgte das erst 1970 entstandene „Konzert für Klarinette und Streichorchester op. 104“ mit thematischem Kontrastreichtum und fast schon übermütigen Momenten für Furore und intensive Zuschauerfreude. Großen Anteil daran hatte neben den exquisit musizierenden Streichern unter Leitung von Gabriel Adorján natürlich der charismatische Solist Thorsten Johanns (Foto). Tonale Weichzeichnung, Flexibilität und effektvoll zum Leuchten gebrachte Dynamik machten seine kammermusikalische und solistische Expertise deutlich, die schon der einleitende Dialog mit dem Kontrabass lustvoll entfesselte. Schön zu beobachten wie der Klarinettist physisch und psychisch mit Weinbergs Melodien verschmolz, die Tiefe und emotionale Gestimmtheit des Werks damit betonte. Dort Bach als Zugabe, hier der 1. Satz der „Jüdischen Suite für Klarinette Solo“ von Evgeni Orkin. Transzendenz schwebte als Oberbegriff auch über dem 1987 bearbeiteten Frühwerk, das als „Kammersinfonie Nr. 1“ zum Finale dieses wahrlich sensationellen Konzerts in der Synagoge erklang und einmal mehr die Kunst der atmosphärischen Verdichtung zelebrierte. Langer und anerkennender Beifall!