Projektor – die a3kultur-Filmkolumne im Januar: Regisseur David Fincher hat mit »Mank« seinen vielleicht persönlichsten Film gemacht.
Ein Fest für Filmnerds

Liebe Leserinnen und Leser, leider scheint sich meine Prognose aus dem letzten Jahr bewahrheitet zu haben. Zwar hat es zum Beginn der Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts noch keinen schwarzen, aber doch einen sehr dunklen Freitag für die Kinolandschaft gegeben. In ganz Deutschland mussten und müssen coronabedingt Lichtspielhäuser schließen oder um ihre Existenz bangen. Umso erfreulicher ist es, dass sich die Kinobetreiber*innen in unserer Region mit ganzer Kraft und kreativen Ideen gegen das endgültige Aus wehren. Ich kann sie nur immer wieder dazu anhalten, regelmäßig auf den Websites der Kinos vorbeizuschauen, um die immer neuen Ideen zu entdecken und die Menschen dahinter zu unterstützen. Da es für den Januar 2021 nun leider abermals keine Kinostarts zu besprechen gibt, habe ich in dieser Ausgabe wieder ein paar Streaming-Tipps und -Hinweise für Sie.
Lassen Sie uns die etwas schwermütige Stimmung aufgreifen und mit negativen Nachrichten beginnen: »Mulan« (Disney+) ist grandios gescheitert. Im August habe ich den Film noch als Martial-Arts-Extravaganza mit Historieneinflüssen gelobt, doch nach kritischen Äußerungen der Hauptdarstellerin Liu Yifei gegenüber den Demonstranten in Hongkong kam alles noch schlimmer. Es stellte sich heraus, dass Disney den Film in der chinesischen Provinz Xinjiang gedreht hat und im Abspann Dankesworte an die dortigen Sicherheitskräfte enthalten sind. In dieser Provinz sollen etwa eine Million Menschen – zumeist muslimische Uiguren – in Umerziehungslagern in Haft sitzen. Als First-World-Problem kommt hinzu, dass der Film zunächst nur gegen Aufpreis zum Disney+-Abo verfügbar war und nun seit Dezember »kostenlos« im Abo zu finden ist. Ein Abruf ist fürs Entertainment okay, aber fürs Gewissen lieber zu meiden. Disney wird es verkraften, wenn man ihnen das Geld für diese fragwürdige Produktion nicht in den Rachen wirft.
Nun aber zu etwas Positivem, und zwar zu meinem persönlichen Streaming-Highlight zum Jahreswechsel: Schwer alkoholabhängig und nach einem Unfall auf Krücken angewiesen schleppt sich Herman J. »Mank« (Netflix) Mankiewicz (Gary Oldman) auf eine abgelegene Ranch in die Mojavewüste. Dort ist der Autor im Jahr 1940 dazu verdammt, in nur sechzig Tagen das Skript für das Regiedebüt des neuen Hollywood-Wunderkinds Orson Welles (Tom Burke) zu schreiben. Unterstützt wird er dabei von der britischen Schreibkraft Rita (Lily Collins) und der deutschen Krankenschwester Freda (Monika Gossmann). In dem Film geht es um einen reichen Zeitungsmagnaten, angelehnt an William Randolph Hearst (Charles Dance), mit dem sich Mank anfreundete und schließlich nach turbulenten Jahren entzweite. So wird »Citizen Kane« zur ganz persönlichen Abrechnung mit Hearst und dem konservativen Hollywood zur Zeit der Great Depression.
Nach modernen Klassikern wie »Sieben«, »The Social Network« oder »Fight Club« hat Regisseur David Fincher mit »Mank« nun vielleicht seinen persönlichsten Film gemacht. Als sein Vater, der Journalist Jack Fincher, in Rente ging, wollte er ein Drehbuch über die Entstehung seines Lieblingsfilms »Citizen Kane« schreiben. Ermuntert von seinem Sohn machte er sich ans Werk, doch die Verfilmung erlebte Jack, der 2003 einer Krebserkrankung erlag, nicht mehr. Mehrmals sprangen Fincher Junior die Financiers ab. Schließlich trat Netflix auf den Plan, um den als Reverenz an »Citizen Kane« in Schwarz-Weiß gedrehten Film zu finanzieren. Das hat sich gelohnt, und wie. Für Filmnerds ist »Mank« ein Fest. Poster, Miniauftritte und sogar kurze Dialogzeilen liefern Anspielungen auf mindestens ein Dutzend Filme aus den Anfängen des Tonfilms in Hollywood. Auch alte Stilmittel wie die Rückprojektion bei Autofahrten oder das langsame Überblenden statt harter Schnitte setzt Fincher ein. Filmgeschichtlich wenig versierte Zuschauer*innen werden mit diesen Zitaten zwar wenig anfangen können, aber auch die Schauspieler brillieren und die Handlung ist trotz des zwanzig Jahre alten Drehbuchs fesselnd und aktuell. So behandelt der Film zum Beispiel auch die Wahlbeeinflussung durch Fake News während einer Gouverneurkandidatur des Demokraten Upton Sinclair. David Finchers erster Film seit »Gone Girl« (2014) ist, um es kurz zu machen, einfach absolut sehenswert.
Foto: Die Schöne (Amanda Seyfried als Marion Davies) und das talentierte Biest (Gary Oldman als Herman J. Mankiewicz) in Netflix’ »Mank«.