Gedächtniskompass
Unrecht geschah auch vor unserer Haustüre. Ein Gastbeitrag von Christoph Lang
Erinnerungskultur ist eine grundlegende Basis jeder Gesellschaft. Der Begriff »Erinnerungskultur« bezeichnet den Umgang des Einzelnen bzw. der Gesellschaft mit der eigenen Vergangenheit. Dabei leitet uns immer wieder die Frage: Was sollen, was dürfen wir nicht vergessen?
Erinnerungskultur ist vielfältig. Sie erstreckt sich auf alle Epochen und alle Ereignisse, denen wir Relevanz beimessen. Häufig denken wir beim Begriff »Erinnerungskultur« jedoch vor allem an die Erinnerung, die die Verbrechen der NS-Zeit wachhält. Ziel der Erinnerungskultur mit NS-Bezug ist meist ein Gedenken an die Opfer sowie eine Stärkung unserer demokratischen Gesellschaft. Erinnerungskultur hat dabei also – zumindest zum Teil – eine ethische Aufgabe.
Erinnerungskultur ist auch eine Kernaufgabe der Bezirksheimatpflege Schwaben. Die Heimatpflege hält die Erinnerung an Geschichte und Tradition in unserer Region wach und trägt zu ihrer Vermittlung bei. Erinnerungskulturelle Arbeit ist dabei vielschichtig: Zu den Themenbereichen von herausgehobener Bedeutung gehört auch in Schwaben die Erinnerung an die NS-Zeit und ihre Verbrechen.
Die NS-Zeit ist Teil der Geschichte unserer Heimat. Unrecht geschah auch vor unserer Haustüre. Eine bewusste Begegnung mit dieser dunklen Zeit kann dazu beitragen, Leitlinien für unser gesellschaftliches und politisches Handeln zu geben. Darüber hinaus sind wir es den Opfern der damaligen Zeit schuldig, ihrer zu gedenken.
Vor dem Hintergrund dieser Verantwortung spielt die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit seit den 1980er-Jahren eine wichtige Rolle in der Arbeit der Bezirksheimatpflege. Am Anfang stand vor allem die Erinnerung an das jüdische Leben in Schwaben im Fokus. Zahlreiche einschlägige Tagungen und Forschungspublikationen konnten das Wissen um das jüdische Schwaben vertiefen. Dabei geht es nicht nur um die NS-Zeit, doch Themen wie Antisemitismus oder Holocaust schwingen immer mit.
In den vergangenen Jahren weitete sich der Blick auf die vielen kleineren Erinnerungsorte in ganz Schwaben. Die Zahl örtlicher Initiativen, die sich verschiedener Themen mit NS-Bezug annehmen, nimmt zu. Mit dem Kurs »NS-Erinnerungsorte sehen und verstehen« existiert ein Forum für all diejenigen, die sich in der lokalen Erinnerungsarbeit einbringen. Es dient dem Austausch und der Vernetzung, hat aber auch das Ziel, Grundlagen der Gedenkstättenarbeit zu vermitteln und Impulse für die weitere Arbeit zu geben. Beim nächsten Treffen am 12. und 13. November wird es um »NS-Erinnerungsorte im digitalen Raum« gehen.
Parallel dazu entstand eine Broschüre, die einen ersten Überblick über ausgewählte NS-Erinnerungsorte in ganz Schwaben bietet und sie als Orte der lokalen und regionalen Geschichtsvermittlung bekanntmacht. Aufgegriffen werden Themen wie Holocaust und Porajmos, das Gefängnis- und KZ-Außenlagerwesen, Patientenmorde, Zwangsarbeit, aber auch Einzelschicksale. Die Broschüre wird seit Oktober 2024 allen Schulen in Schwaben zur Verfügung gestellt, aber auch – soweit möglich – an den Erinnerungsorten ausliegen. Auf Anfrage versendet die Bezirksheimatpflege Schwaben das Heft ebenfalls. Eine Internetseite zu den Erinnerungsorten in Schwaben wird die Broschüre ergänzen.
Das jüngste Vorhaben der Bezirksheimatpflege ist die Erarbeitung einer Wanderausstellung zu Sinti und Roma in Schwaben. Dabei geht es nicht nur um die NS-Zeit. Wesentliches Ziel ist, zu zeigen, dass Sinti und Roma selbstverständlich zu Schwaben gehören.
Bereits seit über zehn Jahren beschäftigt sich das an die Bezirksheimatpflege angeschlossene Bezirksarchiv mit dem Themenkomplex »Euthanasie«. Im Bezirksarchiv werden die Unterlagen aus den Bezirkskrankenhäusern aufbewahrt, darunter die Patientenakten aus der NS-Zeit. Sie dokumentieren die Verbrechen und Morde, die an Patienten der psychiatrischen Einrichtungen in Schwaben begangen wurden.
Erinnerungskultur ist vielfältig. Sie ist Grundlage für einen verantwortungsvollen Umgang mit unserer Heimat.
Christoph Lang
Seit 2021 Bezirksheimatpfleger
beim Bezirk Schwaben.
© Martin Augsburger
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Erinnerungskultur wird bis dato in Deutschland in erster Linie mit Bezug auf die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und dem Gedenken an den Holocaust definiert. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Art und Weise, wie Gesellschaften ihre Geschichte kollektiv bewahren und interpretieren. In postmigrantischen Gesellschaften, in denen Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben, stellt sich die Frage, ob diese geradlinige Erinnerungskultur der Zusammensetzung unserer Gesellschaft noch gerecht werden kann.