Kurz vor seinem Tod am 22. Oktober 2020 vollendete Klaus-Peter Lehmann sein Buch »Ganz Israel wird gerettet werden. Wege und Irrwege zum Reich Gottes und im Verhältnis zum Judentum«.
Das Gottesreich auf der Erde?

Lehmann, geboren 1946, war Pfarrer der evangelisch-lutherischen Nordkirche in Hamburg, lebte als Rentner in Augsburg, engagierte sich im jüdisch-christlichen Dialog und auch politisch etwa bei attac. Der Titel seines Buches zitiert den Brief des Paulus an die Römer, Kapitel 11, Verse 25–28. Im Zentrum steht Abraham als Vater der Verheißung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Diese Hoffnung übernahmen Jesus Christus und die Apostel.
Klaus-Peter Lehmann hält nichts von Religionen, da sie nur zu Kampf und Krieg führen. Das Reich Gottes versteht er als Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe. Die Gründung des Staates Israel sieht er als Konsequenz des Holocaust und politisch-messianischen Aufbruch.Im Zentrum stehen bei Lehmann Thora und Talmud sowie das Neue Testament. Er schildert den Antisemitismus im frommen Gewand mit der Inquisition, dem Wahn vom jüdischen Christusmord, vom blutgierigen Juden und dem »Hirngespinst vom geldgierigen Juden«. Der Autor befasst sich ausführlich mit Martin Luther (Foto links, Porträt von Lucas Cranach d. Ä., klick hier zum Vergrößern) und seinem überbordenden Judenhass. Der Reformator habe sich aber auch gegen Wucher, Habgier und angemaßte Obrigkeit gewandt. Wie im NS-Staat Dietrich Bonhoeffer hielt Luther den Tyrannenmord für legitim. Conrad Peutinger verteidigte in Augsburg als Fuggerfreund Eigennutz und Habgier. »Hier beginnt die Revolution des Kapitalismus.«
Karl Marx betrachtete der Autor als »Prophet im atheistischen Gewand«, der unter anderem die Fetischisierung von Warenwelt und Markt bekämpfte.
Lehmann verehrte den Dichter Ernesto Cardenal (1925–2020), der in Nicaragua eine urchristlich inspirierte Kommune gründete und sich als Sandinist, Marxist und Christ verstand.
Die SPD unter August Bebel habe den Antisemitismus bekämpft: Der Feind sei »nicht der jüdische Kapitalist, sondern die Kapitalistenklasse überhaupt«.
Der Autor befasst sich auch mit dem Judenhass im Kleid der Wissenschaft, etwa bei Houston Stewart Chamberlain, der durch die Erinnerung an die Aussetzung schwächlicher Kinder in der Antike das Tor zur Euthanasie geöffnet hat. Relativ kurz wird im Buch der NS-Antisemitismus mit seiner Wahnidee der jüdischen Weltherrschaft behandelt.Die Araber wollte Lehmann (Foto links, klick hier zum Vergrößern) nicht als dritten Erben der Verheißung anerkennen, da Ismael im Gegensatz zu Isaak von der Sklavin (»Heidin«) Hagar geboren wurde. Es sei allenfalls Aufgabe des Staates, einen Dialog der drei abrahamitischen Religionen zu organisieren. Hier sei angemerkt, dass es in der Friedensstadt Augsburg schon lange einen runden Tisch der Religionen gibt. Das Buch befasst sich mit dem islamischen Antijudaismus. Lehmann: »Die eliminatorische Schärfe, die er im 20. Jahrhundert als sog. Islamismus angenommen hat, halten wir für einen Exportartikel des Nationalsozialismus.« Dieser muss bekämpft werden. In jedem Muslim einen potentiellen Terroristen zu vermuten, ist jedoch meines Erachtens islamophob und kein Weg zu Gerechtigkeit, Frieden und Liebe. Dahin führt nur das Gespräch, in diesem Fall der Trialog.
Klaus-Peter Lehmanns bester Freund und Lehrer war Helmut Gollwitzer (1908–1993). Er gehörte im Gegensatz zu den »Deutschen Christen« der die Nazis bekämpfenden »Bekennenden Kirche« an und übernahm nach der Verhaftung Martin Niemöllers 1937 dessen Pfarrstelle in Berlin-Dahlem. Seine erzwungene Teilnahme am Krieg erlebte er als Schuld, den Zusammenbruch als Gericht. Nach dem Krieg war er gegen die Wiederaufrüstung und die Einbeziehung der Bundeswehr in die Nato, gegen Atomwaffen, die Nachrüstung und aktiv bei der Blockade von Mutlangen.
Für Gollwitzer war die Erwählung Israels Bestandteil des christlichen Grundbekenntnisses. Er lernte viel von Martin Buber, von dessen prophetisch-sozialistischem Verständnis des Zionismus, für den die Frage des Zusammenlebens mit den Arabern von zentraler Bedeutung war. Gollwitzer bezeichnete im Sinne des Buberschen Dialogs den anderen Menschen als Grenze: »Ohne die Mitmenschen wären wir nichts, alles was wir haben, haben wir durch sie und mit ihnen. Der Andere begrenzt auch meine Fehler, meinen Machtdrang, meinen Egoismus.«
Ein Freund beschreibt Klaus-Peter Lehmann als sehr klug, tolerant und vertrauenswürdig. »Klaus-Peter fuhr gerne Fahrrad. Wenn es nur mit Auto ging, stieg er gerne bei mir ein und freute sich, weil mein Auto ein Hybrid ist, weil Strom durch überschüssige Bremsenergie während der Fahrt gewonnen wird.«
Klaus-Peter Lehmann – Ganz Israel wird gerettet werden. Wege und Irrwege zum Reich Gottes und im Verhältnis zum Judentum
608 Seiten, Verlag: Books on Demand, www.bod.de
Abbildung oben (klick hier zum Vergrößern): Das Buchcover zeigt Abraham als Vater des kommenden Reiches Gottes – eine Darstellung aus dem »Hortus Deliciarum« der Herrad von Landsberg, etwa 1180.