Lyriker Knut Schaflinger hebt mit »Die Unrast der Atome« (Verlag Ralf Liebe) zum Spätwerk an.
Kein Entkommen vor der Sprache

Knut Schaflinger legt seinen zwölften Gedichtband vor. Geboren in Graz, Österreich, zählt der heuer 70 Jahre alt werdende Lyriker zu jenen guten Dichtern, die man in Augsburg und Oberschwaben an einer Hand abzählen kann. Als Altgardist bleibt er aber nicht stehen, der im Verlag Ralf Liebe erschienene Band zeigt Schaflinger in einer neuen, spannenden Phase seines Schreibens. »Die Unrast der Atome« lautet der Titel der Sammlung (sehr schön: kein Softcover). Im Inneren strukturieren dann sechs Rasten, sechs Ruhen, das poetische Sprechen. Der streng stilistischen Form – jedes Gedicht durchgehend in sieben Doppelversen, gefolgt von einem Einzelvers, jeweils auf einer Seite in die Überschrift einbeziehendem, strengen Blocksatz gefasst – steht ein freier Satzfluss gegenüber. Eine Art prosaisch gereihter stream of consciousness – ohne Kommata, aber mit Satzpunkten.
Im Enjambementgewitter: schönste poetische Bilderlast. Ein Panoptikum aus Erlebtem und Erinnertem, aus Erdachtem und Ersonnenem, der Alltag speist den Traum und umgekehrt. Klingendes Vanilleeis aus Kindheitstagen. Ein Taxi fährt vier Buchstaben durch die Nacht. Die Rendite des Lichts. Eine Raviolidose. Das spielende Enkelkind. Monet wirft einen sauren Apfel nach dem Dichter. Ein Einbruch. Ein Bienenkorb. Kurioses: »Über Nacht bin ich aus meiner Hose gewachsen. Eine Verkleinerung.« Wald und Himmel, Schnee. Und: »Das Gewicht der Worte hängt mit der Kälte zusammen im Mund.«
»Dein Spätwerk sozusagen«, damit endet der Band. Da ist was dran, ein guter alter Wein wird hier noch besser. Entstanden sind die Gedichte zwischen Dezember 2018 und August 2020. Zwischen Ovid und Covid, auch das merkt man: »Die Erde trägt Mundschutz jetzt – unter weißen Folien murmelt reif der Spargel im Feld.« Und, schließlich, Knut Schaflinger hat recht – die Sprache, ein Virus: »Für die Bewohner der Erde gibt es vor Sprache kein Entkommen.«
Knut Schaflinger: »Die Unrast der Atome. Gedichte«, 87 Seiten, Verlag Ralf Liebe
www.verlag-ralf-liebe.de