Da wäre zum Beispiel ein trostloser Klinikneubau in Augsburg. Ausgerechnet eine Kinderklinik schmucklos, funktional – schon kein Ort, an dem gesunde Erwachsene sich gerne aufhalten, geschweige denn durch Krankheit aus ihrer heimischen Umgebung gerissene Kinder.
Juliane Stiegele, Künstlerin mit einem Standbein in Augsburg, folgte der Anfrage zweier Ärzte, die sich eine kindgerechte, heilungsfördernde Atmosphäre wünschten. Auf Basis von originalen Kinderzeichnungen schuf sie zusammen mit einem Team eine Innengestaltung, deren freundliche Atmosphäre den Kindern das Unbehagen nehmen soll.
Unbehagen, Angst, Ziellosigkeit. All das sind negative Gefühle, in denen wir moderne Menschen nach Meinung Stiegeles verhaftet sind und zu deren Bewältigung wir uns häufig in mechanistische Denkweisen flüchten, ungeachtet dessen, was wir realisieren möchten und könnten. Viele Utopien werden begraben, weil sie Mut und Verantwortung bedeuten würden. Beides scheuen wir oft.
Als »Werkzeug der Ermutigung« brachte die Künstlerin daher 2013 das Buch UTOPIA TOOLBOX.1 heraus, aus dem sich schnell ein Kollektiv entwickelte, dem sich auch kreative Personen aus anderen Berufen anschlossen – nicht nur Künstler*innen im engeren Sinn. Auch ein Ingenieur und ein Anwalt sind Teil des Kollektivs. Im Laufe ihrer jahrelangen Lehrtätigkeit an Universitäten in Bozen und Taipeh wurden an die 200 »Mikro-Utopien« entwickelt und umgesetzt. Zahlreiche Ideen hat das Kollektiv in den letzten acht Jahren auch in verschiedenen Städten Deutschlands realisiert, daneben gab es zahlreiche Workshops und Interventionen. Das Augsburger Kinderklinik-Projekt erhielt inzwischen einen internationalen Red Dot Design Award.
Aus dem Buch heraus hat sich inzwischen auch ein »Zukunftsministerium für Träume und Utopien« entwickelt, ein Container, der um 15 Grad schräg steht (schließlich ist in unserer Welt auch so einiges ins Rutschen gekommen) und in verschiedenen Städten gastiert. Zuletzt wurden Bürger*innen der Stadt Stuttgart befragt, wie sie eigentlich in Zukunft leben wollen, und ihre Visionen und Wünsche gesammelt.
Aus den Vorschlägen und Utopien der Leute entwickelt UTOPIA TOOLBOX ganz konkrete Projekte, die meist auch realisiert werden. Immer öfter treten außerhalb des klassischen Kunstbetriebs auch Referate von Kommunen, die an gesellschaftlicher Transformation interessiert sind, an das Kollektiv heran.
Juliane Stiegele und ihre Kolleg*innen Erwin Heller, Martina Vodermayer, Sheila Seyfert-Menzel, Jürgen Hefele, Markus Bernhard, Renate Tax, Doris Cordes-Vollert (alle in Deutschland ansässig) sowie Nick Tobier (USA) und Jia-Ming Dai (Taiwan) stellen hierfür ihre Kreativität zur Verfügung.
Und die Gründerin? Hat jüngst nachgelegt: Das Buch UTOPIA TOOLBOX.2, eine Werkzeugkiste, mit der jeder Mensch seine eigene Kreativität entwickeln kann, erschien 2020 und kann über die Website des Kollektivs bezogen werden. UTOPIA TOOLBOX.1 erschien inzwischen auch in englischer und chinesischer Übersetzung.