Löwe, halbiert
Die Künstlerin Julia Klemm verpasst Bildnissen von stolzen Löwen eine Rosskur und stellt Machtverhältnisse auf den Kopf.
Der Löwe ist seit seiner Entdeckung durch die Europäer im Altertum ein Symbol für Macht, Stärke und Eleganz. Stehend, sitzend oder liegend bewacht er in Stein gemeißelt manch repräsentatives Gebäude oder unterstreicht die Bedeutung berühmter Personen. Auf Wappen ist er neben dem Adler das Imponiertier Nr. 1.
Vielleicht hat man sich gerade in Bayern schon so an der Löwensymbolik sattgesehen, dass man ihre Allgegenwart kaum noch bemerkt. Und hier tritt Julia Klemms Kunst auf den Plan: Die aus Baden-Württemberg stammende Wahlmünchnerin versteht sich auf Keramik, aber auch auf den Umgang mit 3D-Druckern, und nutzt dies für ein konsequentes Spiel mit De- und Rekonstruktion von Löwenskulpturen. Diese sucht sie sich in ganz Europa zusammen, in deutschen Städten, aber auch in Antwerpen oder Barcelona. Fotos davon werden per Software in 3D-Modelle umgewandelt, diese dann per 3D-Druck als (Negativ-)Formen ausgedruckt, mittels derer die Vorbilder im Münchner Atelier – in abgewandelter Form – als Keramiken wiedererstehen.
Manch bedeutende Löwenskulptur wird dabei auf Hauskatzengröße zurechtgestutzt und obendrein noch einem Prozess unterworfen, der das stolze Tier dekonstruiert und in immer wieder andere, teils bemitleidenswerte Zustände versetzt: In zwei Hälften, auf den Kopf gestellt, durchlässig (ein Merkmal demokratischer Architektur, weit fernab von fürstlicher Alleinherrschaft), unvollständig oder ganz verschwunden, sodass nur noch das Krönchen bleibt, welches das mächtige Tier auf dem Kopf trug.
Dazu kommt eine Präsentation auf grob gesägten Sperrholzplatten, Holzgestellen oder einfach auf dem Boden – ein falscher Schritt, und aus ist es mit dem fragilen Faksimile der Trutzfigur.
Hier zeigen sich die Ursprünge der Idee: Die Künstlerin hatte stets ein Faible für Tierfiguren aus Stoff oder Ton, die sie als weggeworfene Gebrauchsgegenstände aus dem Müll zog und kreativ weiterverarbeitete.
Das amüsiert, kann auch etwas eklig sein (z.B. wenn die Glasur wie dicker Schleim von den organischen Formen tropft), gibt Rätsel auf und generiert Fragen. Auf der anderen Seite befreit Julia Klemm die stolzen Tiere auch aus ihrer Knechtschaft und dem Dasein als faunales Beiwerk eitler Fürsten und lässt sie andernorts als eigenständige Kunstwerke dastehen. Und das ist doch auch etwas.
»Julia Klemm: Dimensions« ist bis 28. Mai in der Neuen Galerie im Höhmannhaus zu sehen.