»Mich reizt ein bisschen das Extreme«
Im Staatstheater Augsburg feierte man die Premiere von Moriz Eggerts »Die letzte Verschwörung« mit Aluhut und Sekt. Ein Interview mit dem Komponisten von Jürgen Kannler
a3kultur: »Die letzte Verschwörung« hatte ja letztes Jahr in der Wiener Volksoper Uraufführung. Da firmierte das Werk als Operette, die Werbung zur Deutschlandpremiere im Staatstheater sprach von einer Oper. Zu welcher Gattung zählt denn nun »Die letzte Verschwörung«?
Moritz Eggert: Das kann mit Blick von außen tatsächlich etwas verwirrend sein. Die Volksoper ist ja vor allem ein Operettenhaus und hat demnach ein recht konservatives Publikum. Deswegen war es der Intendantin wichtig, dass der Abend als Operette beworben wird. Mir persönlich war das nicht wichtig.
Dem Publikum in Augsburg wohl auch. Mir hat vor allem Ihre Musik sehr gut gefallen. Faszinierend, wie Sie unterschiedlichste Zitate in dem Werk verweben. Wann haben Sie zuletzt mit KI komponiert?
Ich habe noch nie mit KI komponiert und werde das auch nie tun. Warum sollte ich einer Technologie Arbeit überlassen, die mir Spaß macht? Mir macht Komponieren Spaß. Mir fällt ständig etwas ein. Ich höre ständig Musik im Kopf und kann gar nicht so viel aufschreiben, wie mir einfällt. Ich lasse ja auch keinen Roboter für mich laufen, wenn ich Lust habe, Sport zu machen. Ich finde es jedoch sehr gut, wenn wir KI für Dinge einsetzen, die wir als langweilig empfinden.
Viele Menschen in Kreativberufen wehren sich gegen KI-Technologien, die auf Basis ihrer Werke trainiert werden, um sie mittelfristig zu ersetzen. Sie sind seit geraumer Zeit auch Präsident des Deutschen Komponistenverbandes. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Rechte von Künstler*innen vor dieser Vereinnahmung zu schützen?
Ein erster Schritt wäre eine grundsätzliche regelmäßige Abgabe aller KI-Konzerne an die Verwertungsgesellschaften aller Kreativschaffenden, nicht nur die von Komponierenden. So ähnlich, wie es bei Kopiergeräten der Fall war. Die KI kopiert und variiert letztlich nur Material, das ursprünglich von Menschen geschaffen wurde. Das wird immer wieder gerne mal vergessen: Die KIs kommen nicht als neue Technologie aus dem Nichts, alle Einfälle kommen von uns!
Wie diskutieren Sie im Deutschen Komponistenverband denn die bereits verkündeten und noch drohenden Sparrunden in der Kulturpolitik?
Das ist ein ständiges Thema. Vor allem drohen auch Reformen bei der GEMA, die auch die »E-Musik« sehr bedrohen. Das sind alles heiße Themen, und ich diskutiere fast täglich mit den Kolleginnen und Kollegen darüber. Das ist auf jeden Fall eine sehr politische Situation. Das ist eine Zeit, in der man kämpfen muss.
Wie kann dieser Kampf denn aussehen?
Immer wieder darauf hinweisen, dass Kultur in all ihren Formen das Leben überhaupt erst lebenswert macht. Leo Leonni hat das in seinem schönen Kinderbuch »Frederick die Maus« wunderbar erzählt - im Winter sitzen die Feldmäuse in der Höhle, frieren und haben Angst, dann beginnt Frederick, den alle vorher für nutzlos hielten, Geschichten zu erzählen und rettet sie. Kultur wird leider erst vermisst, wenn sie fehlt. Diktatoren und Populisten unterdrücken und zensieren Kultur und nutzen deren Fehlen aus, um ihre Macht zu zementieren.
Es ist noch nicht so lange her, dass die Politik nicht müde wurde, Kunst und Kultur als systemrelevant zu feiern. Nun droht in großen Teilen Kahlschlag. Ist den Worten der Politik noch zu trauen?
Ich bin sehr wachsam und habe viele Diskussionen zum Thema schon in der Corona-Zeit geführt. Damals haben sich viele beschwert, dass Kultur nicht genügend im Mittelpunkt stünde. Ich habe gewarnt: Die eigentliche Krise wird verspätet kommen. Und das passiert genau jetzt. Ich habe kein grundsätzliches Misstrauen der Regierung gegenüber, sondern mache mir eher Sorgen bei Parteien, die im Moment (noch) nicht in Regierungsverantwortung sind. In deren Parteiprogrammen ist sehr wohl zu lesen, welche Pläne sie mit Kunst und Kultur verfolgen werden, auch, dass sie zum Beispiel den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen wollen, was eine absolute Katastrophe wäre. Ansonsten denke ich, werden wir die Krise nur im Dialog bewältigen.
Kunst hat Bedeutung über den kulturellen Aspekt hinaus.
Welche Argumente stehen da zur Verfügung? Ihre positive Wirkung ist eigentlich immer offensichtlich. Diese Bereiche stehen bei Populisten jedoch nicht hoch im Kurs. Natürlich muss man verstärkt Lobbyarbeit machen und immer wieder herausstellen, wie wichtig Kultur ist, nicht zuletzt als Wirtschaftsfaktor. Wir sehen ja, dass Städte, die ein reiches Kulturangebot haben, auch bei Touristen sehr beliebt sind. Da gibt es zahllose partizipierende Dienstleistungen. Kultur findet ja nicht isoliert statt.
Sie sind Komponist, Lehrer, Publizist, Lobbyist. Wie kriegen Sie dieses Pensum eigentlich auf die Reihe?
Ich krieg's eigentlich nie auf die Reihe. Ich mache auch noch viel Sport. Das ist dann eine zusätzliche Zeitbelastung. Es ist wie ein Ritt über den Bodensee, jeden Tag, jede Woche. Ich versuche immer, irgendwie alles zu schaffen. Aber es ist tatsächlich sehr anstrengend.
Im Bewusstsein, den Tag zu beenden, ohne mit allem, was so anliegt, endgültig fertig zu werden, ist doch eigentlich gar nicht so schlecht, oder?
Beim Komponieren rate ich meinen Studierenden immer: Hört auf, wenn ihr total inspiriert und im Flow seid. Denn dann habt ihr am nächsten Tag Lust, weiterzumachen. Wenn ihr euch total auspowert, dann habt ihr am nächsten Tag keine Lust und braucht wieder Zeit, Euch zu regenerieren. Das ist tatsächlich ähnlich wie im Sport: Den muss man auch sehr dosiert betreiben. Diese Strategie zeigt tatsächlich mehr Effekt, und damit kann man insgesamt auch mehr schaffen.
Was sind denn Ihre liebsten Sportarten?
Ich konzentriere mich im Moment sehr auf Laufen und Schwimmen, in Form von Ultra-Marathons und Ultra-Schwimmmarathons. Mich reizt immer ein bisschen das Extreme.
Seine berufliche Zukunft als Komponist zu sehen, ist ja auch ein Extrem. Bei den Akademien der Bildenden Künste, wo Malerei und Bildhauerei gelehrt werden, geht man davon aus, dass maximal ein Prozent der Studierenden einmal von der Kunst wird leben können. Wie sieht es denn dann in Ihrem Genre aus?
Man muss realistisch sein. In Deutschland können vielleicht zehn Komponist*innen von der E-Musik leben. Sehr viele Leute halten sich mit Unterrichten oder irgendwelchen musikalischen Dienstleistungen über Wasser. Oder sie haben zwei Berufe, was nicht immer von Nachteil sein muss, wie wir am Beispiel von Charles Ives sehen können. Er ist ein berühmter amerikanischer Komponist und war gleichzeitig erfolgreicher Gründer einer Lebensversicherung. Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Leute wie Haydn oder Mozart im Dienste von Kirche oder Fürsten standen und dort einfach Arbeit verrichten mussten. Haydn musste nachts um eins aufstehen und eine Tafelmusik für seinen Fürsten spielen, wenn der es so wollte. Das war letztendlich auch eine Dienstleistung.
Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft, die extrem risikoängstlich ist. Ich erlebe sehr oft, dass bei Studierenden von der Familie ein großer Druck ausgeht, oft verbunden mit der Forderung, man möge doch etwas »nicht so Komisches« wie Komposition oder Philosophie studieren.
Wir wissen aber auch, dass diese »komischen« Studiengänge sehr wichtig sind. Dass Träumen und Zukunftsdenken sowie die Beschäftigung mit Ästhetik sehr wichtige Komponenten unserer Gesellschaft sind. Ich wünsche mir, Deutschland wäre mutiger. Und ja, wir haben in dem Bereich auch ein Nachwuchsproblem. Gerade weil immerzu vermittelt wird, wie gefährlich und unsicher der Künstlerberuf ist, haben wir ganz wenige junge Menschen, die Lust haben, einen solchen Beruf zu ergreifen. Da ist in den Hochschulen absolut Flaute. Bei den Aufnahmeprüfungen haben wir Bewerber*innen aus Brasilien, Russland, der Ukraine und Asien zuhauf – aber kaum aus Deutschland. Das ist wirklich sehr traurig.
Lernt man im Studium bei Ihnen denn auch, sich und sein Werk zu verkaufen?
Ich versuche natürlich schon, eine gewisse Geschäftstüchtigkeit zu vermitteln: Wie kommuniziere ich mit Veranstaltern, mit Auftraggebern und solche Dinge. Ein typischer Fehler, den viele machen, ist, dass sie denken, die Welt käme zu ihnen und interessiere sich für ihre Werke. Das ist normalerweise nicht so. Das war auch noch nie so in der Geschichte der Menschheit. Auch ein Mozart musste Klinken putzen, um einen Auftrag zu bekommen. Das gehört irgendwie dazu. Aber wie man das macht, ob aufdringlich oder sympathisch, das sind Aspekte, über die ich sehr wohl mit meinen Studierenden spreche.
Zum Abschluss noch eine Frage mit Bezug zum Schlussapplaus bei der Premiere im Staatstheater: Trotz Ihrer Turnschuhe mit starker Leuchtkraft sind Sie um ein Haar auf der Bühne gestürzt. Wie viel Risiko muss man denn als Künstler*in eingehen?
Das war mir sehr peinlich, gerade als Sportler. Aber ich habe einfach vergessen, dass die Drehbühne ja erhoben ist. Aber so ein bisschen Risiko gehört dazu. Ich denke, das auch im positiven Sinne. Ich glaube, wenn man nichts riskiert , wird alles auch recht schnell langweilig. Man muss auch scheitern können. Und im Scheitern liegt auch wieder die Chance für ein Gelingen. Wenn wir uns erinnern: Richard Wagner zum Beispiel hat zunächst nur Opern geschrieben, die gefloppt sind. Er lebte aber in einer Zeit, in der solch ein Bedarf nach neuen Opern war, dass er einfach mehrmals eine Chance bekam. Und er konnte auch durch dieses Erlebnis des Scheiterns Kräfte mobilisieren, die ihn dann auf seinen sehr eigenen, sehr speziellen und letztendlich sehr erfolgreichen Weg brachten.