Dass in Augsburg die Baukosten für das neue Staatstheater aus dem Ruder laufen, war klar. Dass sämtliche Fertigstellungstermine gerissen werden, ebenso. Dass der vor Kurzem präsentierte Neuentwurf jedoch mit dieser Wucht gegen das erste Gebot für Theatermacher*innen – »Du sollst nicht langweilen« – verstößt, erschreckt nun doch, oder nicht?
Es war kein leichter Termin für Augsburgs Kulturreferenten und Staatstheaterstiftungsrat Jürgen Enninger. Im Oberen Fletz des Rathauses leitete er als Bauherr die seit Monaten überfällige Informationsveranstaltung zur Generalsanierung und Neubau des Staatstheaters.
In der aktuellen Kostenberechnung sind keine Ansätze für Baupreissteigerungen und Risiken enthalten
Seinem Kollegen vom Baureferat, Gerd Merkle, fiel die Aufgabe zu, über die neu kalkulierten Baukosten und Fertigstellungstermine zu referieren. Der CSU-Mann geht derzeit von einem Gesamtbetrag zwischen 340 und 380 Millionen Euro für die Fertigstellung von Bauteil 1 (Großes Haus) und Bauteil 2 (Neubau) aus. Der endgültige Preis für das umstrittene Projekt könnte natürlich auch ganz anders aussehen. Wirklich festlegen wollte sich der oberste Baumeister der Stadt an diesem Abend nicht. In seiner Folie zur Kostenberechnung sind demnach ausdrücklich »keine Ansätze für Baupreissteigerungen und Risiken enthalten«. Das entspricht einer Verdoppelung der Kostenhöhe von 2015 oder einer Vervierfachung der Kostenanalyse von 2009.
Die Übergabe für das Große Haus wird nun für Ende 2027 avisiert. Der Neubau soll zwei Jahre später fertig sein. Wann und wie aus dieser Gemengelage ein reibungsloser Spielbetrieb erwachsen soll, ist derzeit völlig offen. Fest steht jedoch, dass die im 14-tägigen Turnus tagende Expert*innengruppe von Stadt, Staatstheater und externen Fachleuten ihrer Verantwortung nur in Teilen nachgekommen ist und das vom Stadtrat auferlegte Gebot der Transparenz und regelmäßigen Berichterstattung ignoriert hat.
Den Beleg für die praktizierte Inkompetenz brachte Gerd Merkle selbst zur Sprache, indem er mehrfach auf »fehlende Leistungen im Bereich einer wesentlichen Planungsleitung im Bereich Ausschreibungen und Vergaben« einging, ohne jedoch konkret Namen zu nennen. Diese Arbeitsverweigerung auf Augsburgs teuerster Baustelle geschah über einen nicht näher definierten Zeitraum und blieb von der Expert*innengruppe zu lange unbemerkt. Ein teures Versagen, das erneut Systemfehler bei der Kommunikation und Planung des Staatstheaterbaus offenlegt.
Das hiesige Modell, geformt aus Inkompetenz, Spezlwirtschaft und Halsstarrigkeit, erinnert zuweilen an ein System, das die Stadt bei Immobilien- und Bauprojekten zum Ausplündern freigibt.
Die Erfahrung zeigt, dass unsere Städte nur noch bedingt in der Lage sind, solche Megaprojekte erfolgreich umzusetzen. In anderen Kommunen hat man diese Risiken erkannt und handelt dementsprechend. So eröffneten die Nachbar*innen in München unlängst ihr neues Volkstheater mit drei Bühnen, gefeierter Architektur und Plätzen für über 1.000 Besucher*innen inmitten des Schlachthofviertels. Planung und Bau erfolgten dort weitgehend etat- und termingerecht über ein Generalunternehmen. Letztendlich kostete der Theaterneubau rund 131 Millionen Euro. Für die beim Staatstheaterneubau aktuell veranschlagten Kosten könnte sich Augsburg demnach mindestens drei dieser Kulturorte leisten. Das hiesige Modell, geformt aus Inkompetenz, Spezlwirtschaft und Halsstarrigkeit, erinnert zuweilen an ein System, das die Stadt bei Immobilien- und Bauprojekten zum Ausplündern freigibt.
Dieser Praxis könnte man unter Umständen mildernde Umstände zusprechen, wenn das Ergebnis dem Einsatz gerecht würde. Den nun präsentierten Entwurf von Architekt Walter Achatz kennzeichnet jedoch eine banale Langeweile. Den aufgehübschten Nazischick des Großen Hauses soll demnach ein Neubau mit Multifunktionssaal flankieren, der im besten Fall an ein Stück Käsekuchen erinnert. Allerdings setzt jeder Großbäcker unserer Stadt seine Bauvorhaben derzeit mit mehr Raffinesse um. Dass Achatz selbst mit seinem Entwurf hadert, bestätigte der Architekt im Rahmen seines Vortrags in einem Nebensatz und entschwand nach der Präsentation, ohne auf weitere Fragen einzugehen.
Den aufgehübschten Nazischick des Großen Hauses soll demnach ein Neubau mit Multifunktionssaal flankieren, der im besten Fall an ein Stück Käsekuchen erinnert. Geschossflächen wurden gestrichen. Der futuristisch anmutende Orchesterturm kommt im neuen Plan nicht mehr vor. Die dritte Spielstätte ist nur noch Option.
Sein Entwurf ist sichtlich von Sparzwängen geprägt. Weite, unterirdische Geschossflächen mussten gestrichen werden. Der futuristisch anmutende Orchesterturm kommt im neuen Plan nicht mehr vor. Eine dritte Spielstätte ist nur noch Option. Die Freifläche zwischen den neuen Betriebsgebäuden, Großem Haus und Käsekuchen verzichtet auf die Erschließung des dritten Raums – also eines nicht kommerziell orientierten Begegnungsortes für die Menschen unserer Stadt. Trutzburgartig manifestiert sich das Ensemble im Quartier. Ein Nachhaltigkeitskonzept bleibt es schuldig.
André Bücker nennt den Achatz-Plan »einen großen Wurf«. Für ihn mag das stimmen
Staatstheaterbauintendant André Bücker nennt den Achatz-Plan »einen großen Wurf«. Für ihn mag das stimmen. Für die Menschen unserer Stadt, die Bücker bisher bestenfalls halbherzig als Besucher*innen seiner Programme zu gewinnen versucht, sieht die Sache anders aus. Auch wenn der Freistaat die vom Baureferat prognostizierten Förderungen von rund 50 Prozent der Baukosten freigibt, hat Augsburg bisher schon einen Eigenanteil von mindestens 200 Millionen für das neue Staatstheater zu stemmen.
Wenn die schwarz-grüne Stadtratsmehrheit voraussichtlich am 23. Juni im Rathaus die neuen Beschlüsse zum Staatstheaterneubau durchwinkt – und davon ist auszugehen –, bedeutet das für eine ganze Reihe anderer Kultur- und Bildungsortprojekte eine erneute Weichenstellung in die Warteschleife der Bewegungslosigkeit.
Römermuseum, Jugendtheaterzentrum beim Abraxas, Freilichtbühne, Perlachturm, Museumsdepot, die Stadtbücherei mit ihren Zweigstellen … Die Liste ließe sich fortsetzen mit maroden Schulen, Bädern, Spiel- und Sportplätzen …
Es wurde getrickst, vertuscht, mit manipulativen Beteiligungsprozessen gearbeitet und gelogen.
Kein Bauprojekt der letzten Jahrzehnte hat die Stadtgesellschaft so tief gespalten wie der Neubau des Staatstheaters. Es wurde getrickst, vertuscht, mit manipulativen Beteiligungsprozessen gearbeitet und gelogen. Kritische Stimmen, deren Skepsis sich nun aufs Neue bewahrheitete, wurden diffamiert und Existenzen bedroht.
Der Ursprung dieses Desasters liegt zuallererst in der skandalösen Vernachlässigung unserer Kultur- und Bildungsorte. Eine üble Augsburger Tradition, die sich bis in die Gegenwart fortsetzt. Im Fall des Staatstheaters kommt eine bisher unsäglich schlechte handwerkliche Vorbereitung und Umsetzung des Projekts hinzu, gepaart mit fehlender Transparenz in nahezu allen bisherigen Projektphasen.
Die Stadträt*innen die voraussichtlich am 23. Juni über die Weiterführung des Staatstheaterneubaus zu entscheiden haben, müssen sich fragen, ob sie die Verantwortung für diese Weichenstellung wirklich übernehmen können.