Der Stoff, aus dem die (T)Räume sind
Die österreichische Künstlerin Sabine Groschup macht die Ausstellungshalle im Obergeschoss des tim zur Bühne ihrer groß angelegten Intervention.
Eine Art Stadt eröffnet sich der Besucher*in, sobald sie den weiten Raum betritt – ein Bühnenraum, ein Filmset? Sabine Groschup hat sich für ihre umfassende Ausstellung im tim eine Umgebung geschaffen, die nicht nur die Kunstwerke umfasst und den Raum strukturiert, sondern mit ihren perspektivischen Irritationen das künstlerische Konzept und die Atmosphäre nachhaltig unterstützt.
Es ist kein Zufall, dass die kleinen in verschiedenen Farben gefassten Bauten – sie dienen als Kabinette für kleinere Arbeiten – mit ihren Lochfassaden, verzogenen Perspektiven, kippenden Linien und Schatten stark an die unbelebten Platzarchitekturen der pittura metafisica des Giorgio de Chirico erinnern, die Künstlerin verehrt ihn sehr. Entwickelt wurden die sieben Holzgehäuse von Studierenden der Hochschule Augsburg. Sehen Sie hierzu auch den Gastbeitrag von Katinka Temme in der aktuellen August-Ausgabe zum Thema »Metaphysische Architektur«.
Zwischen diesen Bauten durchmessen eigens für die Augsburger Ausstellung geschaffene sechs je zwölf Meter lange Stoffbahnen diagonal den Raum und schaffen weitere Struktur und Binnenräume. Sie verweisen aber vor allem auf die Umgebung, spiegeln sie, denn die in Jacquardtechnik auf Webstühlen des tim entstandenen Textilien zeigen die Fensterfronten der ehemaligen Fabrikhalle.
Kontrapunktisch schweben zwölf überlebensgroße geisterhafte Figuren, »Sweet Lady of Darkness«, in Dreiergruppen oder einzeln im Raum. In ihren mittelalterlich geschnittenen starkfarbigen Kapuzengewändern könnten sie einer Ordensgemeinschaft angehören. Vielleicht sind die aber auch Feen, oder vielleicht Hexen…
Sabine Groschup, Schülerin von Maria Lassnig, spannt in ihrem Werk einen weiten künstlerischen Rahmen auf, sie widmet sich ebenso der bildenden Kunst wie dem Film und der Literatur. Auch Raum- und Klanginstallationen sowie Videoarbeiten gehören zu ihrem Schaffen.
Im Werkkomplex »Stofftaschentücher« erweist sich Groschup als Lyrikerin wie als bildende Künstlerin, indem sie Gedichte auf Stofftaschentücher unterschiedlicher Herkunft stickt. Sie bannt mit Nadel und Faden eigene und fremde Texte auf den Stoff, die in einer Beziehung zum Tuch oder seiner Provenienz stehen. Das Taschentuch ist so Bildträger, zugleich aber Ursache und unabdingbarer Teil des Ganzen.
Für den Zyklus »ausgezogen« hat die Künstlerin bunte Frottierbademäntel oder -handtücher von Hand gerupft hat, sie ihres schnell und maschinell entstandenen Schlaufenflauschs beraubt und so das Grundgerüst offen gelegt. Der Rest liegt nun als ein Häuflein loser Fäden darunter. Die säuberliche Dekonstruktion mündet in Destruktion, ist jedoch auch als Parabel zu verstehen.
In einer weiteren Arbeit bezieht Groschup bezieht sich auf das Orgel-Kunst-Projekt in Halberstadt, für das die aus 89 Tönen bestehende Komposition von John Cage, die so langsam wie möglich gespielt werden soll, auf eine Spieldauer von 639 Jahren angelegt ist. Groschup dokumentiert dieses Konzert, das kein Mensch vollständig wird hören können, in 89 Filmsequenzen, deren Abfolge zufallsgesteuert wird. Sie verweist damit auf Cage und seine Versuche zum zufallsgesteuerten Komponieren. Begleitend kommentiert Groschup den Aspekt des Notenschreibens, indem sie die 89 Noten stickt.
Sabine Groschup gelingt es, eine Bühne für ihre Kunst einzurichten, die einen Sog entwickelt und in ihren räumlichen Unsicherheiten ein Oszillieren ermöglicht: Raum ist Traum ist Raum…
www.timbayern.de | Sabine Groschup. DER DOPPELTE T(R)AUM | bis 9. Oktober