Die weiße Frau im Kirchenraum

Eine skulpturale Installation des Künstlers Udo Rutschmann verändert inmitten der Moritzkirche den Raum.
Betritt frau die Moritzkirche, trifft sie dort im Kirchenraum auf eine Figur, die, hoch aufgerichtet, schmalgliedrig und zart, still im Mittelgang steht, ihren Blick fest nach vorne gewandt. Vom Chor aus scheint ihr der barocke Christus Salvator entgegenzueilen, zwischen ihnen, auf halber Strecke der Altar.
Der Künstler Udo Rutschmann hat in St. Moritz für die nächsten Monate »Die Beobachterin« installiert, eine überlebensgroße weiße weibliche Figur. Im Schnittpunkt zweier auf dem Boden liegender sich kreuzender Balken erhebt sich eine schmalgliedrige weibliche Figur, gehalten von zwei sich ebenfalls kreuzenden dünnen Stahlgerüsten. Die Gestalt selbst wird definiert und verhüllt durch ein mattweißes sprödes Netzwerk, das sich über ihr abstrakt stählernes Skelett legt und wie eine Schleppe weiter in den Raum greift.
Dieses empfindliche Geflecht aus medizinischen Gipsbinden hat Rutschmann vor Ort geformt und drapiert, einerseits schiere Notwendigkeit, da die feuchten Binden innerhalb von Minuten zu spröde fragilen Formen härten, andererseits ist dieses spezielle Arbeiten, nachts im Kirchenraum, auch unabdingbarer Teil des künstlerischen Prozesses.
So wie sie sich jetzt zeigt, scheint eine Bewegung der »Beobachterin« kaum möglich, sie würde zerbrechen. Ihre anmutige Stabilität wahrt sie nur an genau diesem Ort. Rutschmann setzt seine Skulptur in enge Beziehung zur vorhandenen barocken Figur des Christus Salvator, indem er Gegensatzpaare zulässt. Die stillstehende »Beobachterin«, weiß, weiblich und luzide, und der hölzerne Christus Salvator in Bewegung, männlich und farbig gefasst, halten ständigen Blickkontakt. Diese Situation hat es ungemein Anrührendes, entbehrt aber auch nicht einer gewissen Ironie: Die neu Hinzugekommene bleibt abwartend stehen, der dauerhaft eilende Christus kommt nicht von der Stelle …
Rutschmann setzt mit seiner groß dimensionierten transparenten Installation einen deutlichen Kontrapunkt zum Vorhandenen, doch fügt sich »Die Beobachterin«, den Proportionen und Strukturen des Raumes folgend, still und sicher ein. Sie wird in diesem Kontext auch zur Beobachteten, umgeben von Besucher*innen und Gläubigen – für eine Weile ist sie Teil der Gemeinde St. Moritz geworden.
»Die Beobachterin« kann täglich in der Moritzkirche besucht werden, Mo – Sa von 8.30 bis 17.30 Uhr, So von 12 bis 17 Uhr. Bitte die Gottesdienstzeiten beachten. Die Finissage findet im Rahmen der Langen Kunstnacht am Samstag, 24. Juni von 20 bis 21.45 Uhr statt.





