Politik & Gesellschaft

Fluchtpunkt Shanghai

Nähmaschine Shanghai

Im tim wird ein bislang wenig beachtetes Kapitel nationalsozialistischer Verfolgung beleuchtet

Die alte Nähmaschine im Foyer des tim ist weitgereist: Im Fluchtgepäck der Familie Abraham nahm sie ihren Weg von Hessen nach Shanghai. Das Gerät der Marke »Wertheim« steht im Zentrum einer Ausstellung, die der Frage nachgeht, wie jüdische Flüchtlinge in Shanghai seinerzeit (über-)lebten.

Ab 1938 wurde Shanghai zum Ziel für rund 20.000 Jüd*innen, die sich dorthin vor der Verfolgung durch das Nazi-Regime retten konnten. »Nähen, um zu überleben«: der Titel der Schau macht deutlich, dass viele der Entkommenen ihren Lebensunterhalt nun mit textilen Arbeiten bestritten – so auch Frau Abraham, die mit Hilfe ihrer Nähmaschine die Familie ernährte. Die Umstände stellten die Neuankömmlinge vor große Herausforderungen. Zudem waren sie nach der Besetzung der Stadt durch die mit Deutschland verbündeten Japaner gezwungen, in einem eng begrenzten Bereich des maroden Stadtteils Hongkew umzuziehen. Zwar entwickelte sich ein kulturelles Leben in der Community, doch wovon leben? Praktischen Fähigkeiten kam in dieser prekären Lage auf einmal große Bedeutung zu. Wer nähen oder sticken konnte – vor allem waren es die Frauen – hatte eine Chance. Auch Handwerker*innen mit ihren speziellen Kenntnissen waren gefragt, manche höchst erfolgreich, wie der Orthopädieschuhmacher Fritz Altmann und die Familie Brosan mit feinen Lederwaren.

Von diesen Lebensbedingungen und -wegen sprechen eindringlich die in der Foyerausstellung »Nähen, um zu überleben« im Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) gezeigten Näharbeiten und Stickereien, aber auch Dokumente, persönliche Dinge und Fotografien. Nach Kriegsende verließen die meisten Flüchtlinge bis 1949 Shanghai. Die Familie Abraham ging in die USA, im Gepäck auch ihre Nähmaschine – bis heute im Familienbesitz.

»Nähen, um zu überleben« ist bis zum 17. November im Foyer des tim zu sehen. Der Eintritt ist frei. Ein kleiner Begleitband ist für 12,90 Euro erhältlich. 

www.timbayern.de
 

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