Anschnallen, bitte!
Spannend bis zum Schlussapplaus bleibt die kongeniale Sensemble-Uraufführung »Das Ende der Schwerkraft«.
Keine anständige Bühne, so scheint es, kommt derzeit ohne Verschwörungsstück aus. Die wahrhaft »unterirdische« Variante bietet nun das Sensemble Theater: Philipp J. Neumanns Monolog »Das Ende der Schwerkraft« handelt ausschließlich im akribisch gezimmerten, perfekt ausgeleuchteten Kellernest des Dr. Klopp. Heiko Dietz brilliert in dessen Rolle zwischen scheinbar rationalem Selbstbewusstsein über von Weltschmerz triefende Verachtung bis hin zur blanken Panik. Nein, mit Illuminati, Chemtrails und sonstigem Geschwurbel hält Klopp sich beileibe nicht auf. In seinem bildungsbürgerlichen Komfortbunker bereitet er sich auf eine Katastrophe vor, deren Eintreten auf wissenschaftlichen Tatsachen beruht. Dem puren Zufall verdankt er alle erdrückenden Beweise, der Countdown läuft.
Wider die nahende Apokalypse folgt der Naturwissenschaftler seinen Checklisten, die praktisch alle Eventualitäten einschließen, doch ebenso viele Fragen offen lassen. Was tun, wenn die Zeit drängt, exakte Berechnungen sich plötzlich als Makulatur erweisen, während völlig offen bleibt, wie der sorgsam gepflegte Vinyl-Raritätenschatz –mehrere tausend Platten umfasst er – das Unheil überstehen wird? Permanente Störungen durch menschliche wie tierische Plagegeister sind hier ebenso wenig dienlich wie melancholische Erinnerungen an die scheinbar verblichene, ihrem Verschwörungswahn zum Opfer gefallene Gattin.
Im Glauben an die Wissenschaft zieht Klopp seine Sicherheitsgurte straff und macht sich bereit für den Ernstfall. Philipp J. Neumanns mitreißendes, ästhetisch herausragendes Werk irritiert durch perfekt platzierte Disruptionen, zugleich fasziniert es in seiner höchst poetischen, vielschichtigen Verschränkung von Text, Inszenierung, Soundtrack und Bühnenbild. Kein Wunder, denn der mehrfach preisgekrönte Leipziger Regisseur ist in sämtlichen Disziplinen zu Hause, will sich jedoch nicht als Universalkünstler im wagnerischen Sinne verstanden wissen: Ihren dramaturgischen Feinschliff erhielten sämtliche Szenen im engen Zusammenspiel mit Heiko Dietz.
Das durch – was sonst? – Corona-Mythen inspirierte, doch erfreulich moral- und belehrungsfreie »Ende der Schwerkraft« steht bis zum 30. November auf dem Spielplan des Sensemble, anschließend zieht es weiter nach München zum Kooperationspartner »Theater... undsofort«.
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