Art der Freiheit
Mein erster Besuch im neuen lab-binaer-Büro ist für mich gleich ein Blick zurück. Wo heute das »Flusszimmer« des Werkstattateliers den Blick über den Kanal direkt ins Herz meiner alten Nachbarschaft öffnet, wurden noch vor wenigen Jahren die Stahlfenster für das tim geschweißt. Unsere Redaktion belegte im Vorderhaus des Are als das Hochparterre und über unsere Dachterrasse pflegten wir den Kontakt zu den Facharbeitern von Pfiffner Metallbau. In den Hallen roch es nach Bohremulsion und Stahlspänen, ebenso wie in den Hallen der MAN. In dieser Fabrik lernte ich mit Bohrern und Fräsköpfen Serienteile für Dieselmotoren und Rotationsdruckmaschinen auf einige Tausendstel Millimeter genau zu fertigen. Manroland, einst ein weltweit bekannter Produzent von Zeitungsdruckmaschinen, hat die Digitalisierung und Vernetzung der Welt nicht überlebt. Thomas Pfiffner, Chef der Firma und des Geländes hier, musste sich nicht über mangelnde Nachfrage beklagen. Seine Qualitätsarbeit fand Absatz, aber er fand niemanden, der die traditionsreiche Firma übernehmen will oder kann. Halle für Halle löst er die Werkstätten auf. In wenigen Wochen wird hier die letzte Schicht gefeiert. Wir sind mit Agentur und Redaktion schon vor drei Jahren in die ehemalige Ballonfabrik nur einige Hundert Meter die Straße hinunter in Richtung Norden gezogen. Bei den freundlichen Pfiffners war es uns räumlich zu eng geworden. Platz gibt es dort heute genug. Für die leer gewordenen Flächen interessieren sich jetzt Designer und Architekten. Hieran wird klar: Die Unternehmen der Kultur und Kreativwirtschaft (KuK) sind auch in Augsburg zu einer festen Größe geworden. Auch wenn das die Verantwortlichen im Wirtschaftsreferat der Stadt nicht wahrhaben wollen.
»Wir arbeiten an Dingen, die uns Spaß machen, und für Auftraggeber, die uns fair bezahlen«
In den Räumen von lab binaer bin ich mit zwei Vertretern dieser Wachstumsbranche verabredet. Benjamin Mayer ist gemeinsam mit Martin Spengler so etwas wie der Mastermind dieses Medienkunstlabors. Gemeinsam brachten die Absolventen der hiesigen FH Gestaltung Jahrgang 2007 mit wechselnden Mitstreitern schon ein erstaunliches Spektrum von Projekten an den Start. Als Kreativpiloten sind sie gefragte Podi umsgäste bei Tagungen und Kongressen. Dort erzählen sie von den Anfängen ihrer Arbeit, aktuellen Projekten und wie sie mit dem bundesweiten Netzwerk KuK zusammenarbeiten. Über Interesse an ihrer Arbeit können sie sich nicht beklagen. Ihr Credo: »Wir arbeiten an Dingen, die uns Spaß machen, und für Auftraggeber, die uns fair bezahlen.« Zuletzt steuerten sie eine Videoin stallation zu Luigi Nonos »Intolleranza 1960« am Stadttheater bei. In ihrem Atelier steht gerade ein sorgfältig vor neugierigen Blicken geschütztes Eins-zu-eins-Modell des vielleicht ersten bayerischen Elektroautos, das in Serie gehen wird. Nur die Radkappen verraten mir, dass es sich um einen BMW handeln könnte.
Felix Weinold ist mein zweiter Gesprächspartner an diesem späten Nachmittag. Er gehört wohl zu den drei Prozent der Künstler in Deutschland, die von ihrer Kunst leben können. Seine Arbeiten hängen in Sammlungen und Museen. Zu seiner Zeit an der Münchner Akademie fand er mit seinem Stil unter Mitstudenten nicht nur Freunde. Aber anders als die meisten von ihnen fand er schon damals für seine Kunst auch Käufer und konnte seinen Lebensunterhalt damit bestreiten. Nach längeren Ausflügen in den Süden Europas nutzte er sein Talent verstärkt auch als Fotograf, Innenarchitekt, Designer und Planer. Er arbeitet gern für Museen und konzipiert Ausstellungsräume. Hier kann er immer wieder dazulernen und empfindet auch deshalb diese Aufträge als Bereicherung. Das »Etikettieren von Waschmittelkartons oder Verkaufen von Zigaretten« hat er jedenfalls nicht nötig. Seit Jahren widmet sich Felix Weinold verstärkt einem aussterbenden Metier, der Kunst am Bau: »Eine Fassade von 38 Metern Breite hat eine gewisse Wucht und Kraft. Es macht riesen Spaß, sich daran auszutoben.« Sein aktuelles Wandprojekt entsteht gerade in einem Industriegebiet zwischen Augsburg und Friedberg.
»Eine Fassade von 38 Metern breite hat eine gewisse Wucht und Kraft«
Beim Stichwort »Kunst am Bau« fällt mir ein, dass für mich Weinold und lab binaer zum ersten Mal bei der Präsentation der neuen Stadtbücherei am Ernst-Reuter-Platz gemeinsam Erwähnung fanden. Ihre Arbeiten sind innen (Weinold) und auf dem Vorplatz (lab binaer) zu finden. Wenn Weinold erzählt, wie der Stadt – erst unter OB Wengert, dann unter seinem Nachfolger OB Gribl – der Etat für die Kunst am Bau schier abgetrotzt werden musste, kommt eine sachte Ahnung davon auf, wie es um den Stellenwert der Gegenwartskunst in Augsburg steht. Wir blicken zurück: Zuerst hatten die mit der Planung betrauten Architekten vom Büro Schrammel Kunst am Bau überhaupt nicht vorgesehen. Sowohl Vater Hans als auch Sohn Stefan verstehen sich als Freunde und in gewissem Sinne wohl auch als Kenner zeitgenössischer Kunst. Vielleicht war ihnen ihr Entwurf an sich ja genug. Quasi Kunst als Bau. Von den 150.000 Euro, die noch das Regenbogenrathaus versprochen hatte, blieben nach dem Machtwechsel rund 50.000 Euro übrig. Davon wurden noch die Kosten für Wettbewerb, Produktion, Fundament und Installation abgezogen. Dass Weinold bei dem Wettbewerb, den er mehr oder weniger als Einzelkämpfer durchgeboxt hatte, tatsächlich zum Zug kam, davon hatte er am Schluss ebenso viel oder wenig wie seine Kollegen von lab binaer. Sein Fazit: »Je großartiger die Kunst, desto geringer das Honorar. Erstaunlich, dass es in diesem Fall trotzdem möglich war, zwei Arbeiten zu realisieren.«
Die Subventionsmentalität, die auch hier zum guten Teil in den verschiedenen Szenen herrscht, betrachte ich mit einer gewissen Skepsis
Felix Weinold und Benjamin Mayer gehören nicht zu den Künstlern, die von der öffentlichen Hand fordern, für ihre Arbeit gefördert zu werden. Mayer: »Die Subventionsmentalität, die auch hier zum guten Teil in den verschiedenen Szenen herrscht, betrachte ich mit einer gewissen Skepsis. Ich verstehe, dass sich manche Projekte nicht nur aus den generierten Einnahmen realisieren lassen und deswegen Unterstützung brauchen. Aber Projekte nur auf Subventionsbasis anzugehen, halte ich für einen Irrweg.« Weinold: »Man sollte die Erwartung an sich selber so hoch wie möglich stellen. Ich habe mir die finanzielle Basis für meine Projekte immer selbst gesucht. Wer sich seine Möglichkeiten selber sucht, wird auf diesem Weg vielleicht auch eine ganz neue Art der Freiheit erleben.«
Eine dieser Freiheiten war »blank«, das erste wirk lich gemeinsame Projekt von Felix Weinold und lab binaer. Rund 10.000 Euro haben sie sich die gefeierte Schau in der Neuen Galerie im Höhmannhaus zu Jahresbeginn kosten lassen. a3kultur berichtete damals: »[...] Auf den ersten Blick haben die Kooperationspartner kaum Gemeinsamkeiten: Felix Weinold arbeitet zwar oft mit digitalen Werkzeugen, das Ergebnis sind aber in erster Linie analoge, zweidimensionale Arbeiten in Form von Bildern. lab binaer hat den Pinsel komplett gegen Source-Code und Lötkolben eingetauscht und beschäftigt sich häufig mit interaktiven, meistens vierdimensionalen (zeitbasierten, räumlichen) Projekten. Es gibt aber doch deutliche Parallelen: Sie schaffen ihre Werke oft nicht von null ausgehend, sondern reagieren auf bereits Vorhandenes. Weitere gemeinsame Merkmale sind der Verzicht auf eine eindeutige Handschrift und eine stilistische und inhaltliche Wandlungsfähigkeit [...]«
Gemeinsame Merkmale sind der Verzicht auf eine eindeutige Handschrift und eine stilistische und inhaltliche Wandlungsfähigkeit
Hausherr Thomas Elsen, bei den Kunstsammlungen und Museen der Stadt Augsburg erster Ansprechpartner, wenn es um zeitgenössische Kunst geht, lud zum Experimentieren ein und ließ den Künstlern in seinen Räumen absolut freie Hand. Aus dieser Melange entwickelte sich, ausgehend von einer ersten Ideenfindung, in einem über ein Jahr andauernden Prozess, währenddessen sich die Gruppe immer wieder traf, eine Ausstellung zum Thema »blank«. Das Ergebnis war weder eine Einzel noch eine Sammelausstellung im klassischen Sinn, sondern ein Projekt, das von allen Beteiligten in gleichem Maße geprägt wurde. So entstanden sechs neue Arbeiten, unter anderem »Cursor«, eine Licht-, und »Pas de Deux«, eine Videoinstallation, sowie die akustische Raumskulptur »White Noise«.
Obwohl aus der Serie »blank« noch kein einziges Stück verkauft werden konnte, steckt in dem Projekt das Zeug zur Erfolgsgeschichte. Nach dem Termin im Höhmannhaus wurden die Künstler mit dem Staubsaugerballett »Pas de Deux« zu »Vanity Flair – Luxus und Vergänglichkeit«, der 1. Biennale der Künstler im Haus der Kunst, nach München geladen. Ihre Arbeit »White Noise« hat sogar gute Chancen, beim internatio nalen Celeste Prize in Rom zu punkten. Mit die sem mächtigen, weißen Trichter erreichten sie die Runde der letzten acht in der Kategorie »Installation, Sculpture, Live Media & Performance« bei einem der renommiertesten Kunstpreise Italiens. Egal, wie die endgültige Wahl ausgeht – die Tickets für die Preisverleihung in der ersten Dezemberhälfte sind geordert und die generelle Wahrnehmung von Zeitgenössischem made in Augsburg wird ein wenig geschärft.
Geschichten wie diese zeigen, wie entscheidend Personen wie Thomas Elsen für die Entwicklung von Künstlern in Augsburg sein können. In einer Region, in der die Kreativen zu Recht für eine stärkere Wahrnehmung und mehr Respekt im Umgang mit ihrer Arbeit fordern, sind stabile Netzwerke und ein unkomplizierter Zugang zu Infrastrukturen starke Argumente für Künstler, am Standort Augsburg festzuhalten.