Klassik

Evgeny Konnovs meisterhafter Klavierabend

Gastautor

Der junge Virtuose stellte sich Franz Liszts 12 Études d‘exéxution transcendente. Das, was das Publikum am 1. April im vollen Kleinen Goldenen Saal erlebte, gibt es nicht alle Tage, nicht einmal alle Jahre. Ein Gastbeitrag von Stephan Kaller

Eine Aufführung des Gesamtzyklus der 12 Études d‘exécution transcendante von Liszt an einem Abend ohne Pause ist international nur wenigen Pianisten möglich – Robert Schumann äußerte einst, dass »höchstens zehn oder zwölf Pianisten auf der Welt sie bewältigen können«; gemeint sind Kondition und Konzentration bei größtmöglicher pianistischer Anforderung  über 70 Minuten ›übernatürliches Können‹ (›…exécution transcendante‹) und Darstellung allergrößter Kontraste in dichter Aufeinanderfolge.

Für die Lisztschen Etüden gilt in gleicher Weise, was einst Cortot über Chopins Etüden äußerte: Zu ihnen habe »… der Virtuose ohne Musikalität ebenso wenig Zugang wie der Musiker ohne Virtuosität«. Darüber hinaus tragen die meisten der Etüden Liszts poetische Titel, die sie zu Dramen, Tragödien, heroischen Gemälden oder irrealen Visionen avancieren lassen.

Was der international gefragte und preisgekrönte Evgeny Konnov – ausgebildet in Moskau, Düsseldorf, Augsburg (bei Evgenia Rubinova und Christoph Hammer), Hannover und Wien – an diesem Abend leistete, zeigte sich in der steten Verbindung seiner immensen Virtuosität mit der dramatischen Grundidee der einzelnen Etüden, der großen Atmung, der dynamischen und gestalterischen Intention. Am Ende des Zyklus hatte man den Eindruck, eine riesige sinfonische Dichtung erlebt zu haben, mit extremsten Höhen und Tiefen, mit unfassbarer pianistischer Mega-Akrobatik, prachtvollen Klangvolumina, depressiven Tiefen, metaphysisch entrückter Klangschönheit. Eine sensationelle Wiedergabe, auch im Vergleich mit herausragenden Referenzaufnahmen großer Pianisten.

Nach dem kraftvollen Preludio zu Beginn und der 2. Etüde mit ihren effektvollen Repetitionen tauchte man ein in die erste der insgesamt drei lyrischen Sätze der Reihe. Hier zeigte sich bereits, zu welch leuchtendem, tragendem Melodieton Konnov in der Lage ist, um hier die pastorale Grundstimmung der ›Paysage‹ zu transportieren. Betrachtet man die vielleicht allerschwierigsten, gefürchteten Etüden der Reihe‚ die vierte ›Mazeppa‹ und die fünfte ›Feux follets‹, so könnten die Unterschiede nicht größer sein: Mazeppa mit ihren ungeheuren Ausmaßen, aberwitzigen Sprüngen, gewaltigen dynamischen Steigerungen und ihrer heroischen Dramatik, Feux follets dagegen als filigranste, oftmals impressionistisch anmutende Studie mit spukhaftem Schwirren – beide von Konnov meisterhaft beherrscht. Die düster rauschende Nr. 6 ›Vision‹, der virtuos umspielte Fortissimo-Marsch der Nr. 7 ›Eroica‹ sowie die mit orchestraler Fülle ausgestattete Nr. 8 ›Wilde Jagd‹ zogen als riesige Klanggebilde von symphonischen Ausmaßen vorüber. Dann – wie eine Oase nach diesem Parforceritt – zelebrierte der Künstler die liebe- und sehnsuchtsvolle Welt der ›Ricordanza‹ mit ihrer üppigen, grazilen Ornamentik expressiv, gleichsam brillant glitzernd in den Raum. Die Nr. 10, als bis in apokalyptische Ekstase sich steigernde Etüde mit akrobatischem Ineinandergreifen der Hände, gestaltete Konnov fesselnd zu einem der dramatischen Höhepunkte des Abends, versöhnend abgelöst von harmonischer Wärme und hymnischer Breite in der Nr. 11, den ›Harmonies du soir‹.

Mit ›Chasse neige‹, dem vertonten visuellen Eindruck eines dichten Schneetreibens, endet nach stürmischem Aufbäumen der Zyklus vergleichsweise still – dennoch: Das Publikum erhob sich nach dem letzten, lange ausklingenden Akkord schlagartig zu nicht-enden-wollenden, tosenden Standing  Ovations; es gab unzählige Bravos, Blumen, Dankesworte des Pianisten. Ein Abend von internationaler Klasse, ein singuläres Ereignis in Augsburg ging zu Ende.              

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