Grand Old Boys

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a3kultur-Redaktion

Anlässlich des Brechtfestivals traf Jürgen Kannler die beiden gelernten Juristen in der Theaterkantine, um über Kulturpolitik im Allgemeinen und Brecht im Besonderen zu sprechen.

 

Kannler: Kultur hat in der Politik heute einen größeren Stellenwert als vor der letzten Kommunalwahl. Teilen Sie meine Einschätzung?

Kränzle: Uneingeschränkt, die Kultur hat in den letzten sechs Jahren einen beachtlichen Stellenwert erreicht, nicht zuletzt durch die Konzeption des Festivalgedankens und die politische Unterstützung der Hochkultur. Denken Sie nur an das neue Schauspielhaus oder die Verstaatlichung der Staats- und Stadtbibliothek.

Schneider: Ich glaube, das Thema der Finanzknappheit hat natürlich auch in erster Linie Auswirkung auf die Kultur, und deswegen gab es zwangsläufig mehr Diskussionsbedarf. Außerdem stehen Themen wie die Renovierung des maroden Stadttheaters an oder was mit dem Kulturpark West geschehen soll.

Warum hat die Kultur trotz der von Ihnen geschilderten Entwicklungen keine echte Lobby in der Politik? Der Kulturausschuss galt bisher ja auch nicht unbedingt als Sammelbecken für politische Talente.

Kränzle: Das müsste man natürlich jetzt definieren, was man unter einer echten Lobby versteht. All diese wichtigen Baustellen, von denen wir gerade gesprochen haben, bewirkten, dass es in den Fraktionen heftige und sehr nachhaltige Diskussionen dazu gegeben hat und im Ausschuss dann eigentlich die Mehrheitsmeinung dieser Gremien vorgetragen wurde. Erinnern Sie sich nur an die lebhafte Diskussion zur Brechtbühne. Ich meine, der Kulturausschuss hat ganz gute Arbeit geleistet und wir sind in der Zielgeraden oft, wenn auch nicht immer zu einstimmigen Entschlüssen gekommen.

Schneider: Im Übrigen war es aber schon auch so, dass es zum Teil sehr heftige Diskussionen in Richtung Kulturreferent gegeben hat, der mit mehr oder minder einsamen Entscheidungen natürlich auch dem Widerspruch zumindest eines Teils des Abschlusses hervorgerufen hat.

Das war ja auch ein interessanter Wechsel in der Außenwahrnehmung. Vor sechs Jahren war Peter Grab auch Ihr Mann, Herr Kränzle. Inzwischen haben sich weite Teile der Augsburger CSU von ihm abgewandt. Welche waren die entscheidenden Punkte in diesem Prozess?

Kränzle: Ich sehe keinerlei Abkehr. Wir sind mit Pro Augsburg in einer Koalition und haben den Kollegen Grab bis zum Schluss im Kulturausschuss unterstützt, ungeachtet dessen, dass es unterschiedliche Einschätzungen zu dem einen oder anderen Thema gibt. Dabei denke ich natürlich auch an die Biennalediskussion. Wenn es dann in der Frage des Vollzugs auf der Verwaltungsebene unterschiedliche Akzentuierungen gegeben hat, dann ist das die Sache der Verwaltung, nicht die Sache des Ausschusses.

Schneider: Auch in der Opposition muss man immer aufpassen, dass man nicht das falsche Schwein schlachtet. Wenn der Kulturausschuss zu sehr mit seinen eigenen Diskussionen beschäftigt ist, kann es leicht passieren, dass andere mit ihren Themen – gerade in der Haushaltspolitik – vorbeiziehen und die Kultur das Nachsehen hat. Also muss man immer wieder seine eigene interne Kritik ein Stück zurücknehmen und wenn es nach außen geht, in einem immer enger werdenden Verteilungsspielraum, möglichst geschlossen auftreten. Sonst kommt die Kultur unweigerlich unter die Räder. Das war die große Kunst in der Vergangenheit und das wird sie vermutlich auch in der Zukunft sein.

Warum fällt es vor allem den großen alten Volksparteien so schwer, Menschen aus dem Kulturbereich auf einen aussichtsreichen Listenplatz zu bringen? Bei der CSU haben wir drei Kandidaten mit kulturellem Background ausgemacht, bei der SPD sogar nur zwei. Warum sind Künstler und Kreativdienstleister so schwer im politischen Geschäft anzudocken?

Kränzle: Darf man fragen, wen Sie da genau im Auge haben?

Das kann ich Ihnen sagen: Michael Bernicker, Andreas Jäckel und Iris Steiner bei der CSU und Frank Mardaus und Stefan Quarg auf der Liste der SPD.

Kränzle: Andreas Jäckel hat als unsere Nummer sechs bestimmt einen Spitzenplatz, aber das hängt natürlich auch mit dem Regionalprinzip in unserer Partei zusammen, mit dem wir alle Stadtteile abdecken wollen.

Schneider: Es ist natürlich so, dass sich auch nur wenige Künstler oder Leute aus der Kulturszene engagieren.

Zumindest nicht bei Ihnen. Eher treten sie mit einer eigenen Liste an, wie das Beispiel Polit-WG zeigt.

Schneider: Warten wir mal ab, welche Ergebnisse die Polit-WG holt, und dann sehen Sie, welchen Stellenwert die Kultur gesamtgesellschaftlich wirklich hat. Das gilt natürlich auch innerhalb unserer Parteien. Was meinen Sie, was für einem Rechtfertigungsdruck wir immer wieder ausgesetzt sind, wenn wir Jahr für Jahr Millionen aus Steuermitteln zum Beispiel fürs Theater aufbringen, obwohl nur wenige Prozent der Bürger diese Kultureinrichtung nutzen. Das ist eine Diskussion, die permanent geführt wird.

Kränzle: Sie werden mir keinen Kulturschaffenden nennen können, den wir nicht berücksichtigt hätten. Weil sich leider niemand gemeldet hat. Wir sind auch in Eigeninitiative auf gute Leute wie den Dr. Seidel vom Sensemble Theater zugegangen, auch ohne eine Nominierung an die Mitgliedschaft in unserer Partei zu knüpfen. Ohne Erfolg. Selbst wenn wir Quereinsteiger für uns gewinnen können, die Einigung, auf welchen Listenplatz er dann kandidiert, ist der nächste schwierige Punkt. Da braucht es eine Mehrheit durch die Wahlmännerversammlung. Aber wie Sie schon gesagt haben, wir stehen im Kulturbereich ja nicht ganz schlecht da. Ich setze zum Beispiel stark auf Michael Bernicker, er ist ein sehr fähiger Mann, gut vernetzt und auch im Arbeitskreis Kultur unserer Partei sehr aktiv.

Schneider: Ich glaube, dass viele Kreative sich auch deshalb etwas weit weg von den Parteien begeben, weil sie den oft schwierigen politischen Alltag scheuen. Zwischen der Formulierung und der Durchsetzung einer Idee liegt ein oft schweißtreibender Prozess. Ich habe das Gefühl, dass manche für ihr persönliches Leben eben andere Prioritäten setzen. Aber ich gehe davon aus, dass sich das bei den zukünftigen Wahlen ändern wird, weil das Thema Kreativwirtschaft zwangsläufig einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft erlangen wird.

Kommen wir von der Kreativwirtschaft zurück zur Kultur. Wir sitzen ja auch deshalb während des Brechtfestivals hier in der Theaterkantine, weil jeder von Ihnen heute noch zu Folgeterminen im Haus gehen möchte. Sie haben sich beide über Jahre hinweg massiv für Brecht in Augsburg und explizit auch für den Festivalleiter Joachim Lang eingesetzt. Dennoch sind die nächsten Etats noch nicht gesichert und auch die Zukunft des Brechthauses ist ungewiss. Wie wird das mit Bertolt Brecht in den kommenden Jahren weitergehen?

Schneider: Zunächst einmal glaube ich, ist es wichtig, dass das Festival stabilisiert und gesichert wird. Nach den Erfolgen der letzten Jahre sind wir da aber auf einem guten Weg. Wir brauchen rasch eine Fortsetzung des Vertrags mit Joachim Lang, der nur noch bis 2015 läuft, oder eine Erneuerung in dem Bereich. Ich würde für eine Fortsetzung plädieren, aber diese Entscheidung muss dann der neue Stadtrat treffen. Und dann muss auch eine Verständigung bei Themen wie der Neustrukturierung des Brechthauses erzielt und die Frage behandelt werden, wo wir in Augsburg Platz für eine Brechtskulptur im öffentlichen Raum schaffen wollen. Es ist doch schade, dass wir zurzeit in puncto öffentliche Wahrnehmbarkeit der Brechtstadt so wenig vorzuweisen haben. Außerdem sollten wir für das Brechtfest wieder den Sommer nutzen, nicht nur den eiskalten Winter mit einer Brechtnacht bei Minusgraden im Freiluftbereich. Das käme dem Meister sicher entgegen und wir könnten viel mehr Originalschauplätze besser bedienen. Das Festival würde in die Stadt ausstrahlen. Festzuhalten ist, dass sich jede Regierung nun extrem schwertun würde, sollte sie sich mit dem Gedanken tragen, das Erreichte in Sachen Brecht zurückzuschrauben.

Herr Kränzle, wie ich sehe, geben Sie Ihrem Kollegen weitgehend recht …

Kränzle: Zur Bedeutung des Festivals hat Kollege Schneider alles gesagt, was wichtig ist, zur Bedeutung einer Vertragsverlängerung ebenfalls, das könnte ich kaum besser formulieren. Es ist für mich ein großes Anliegen und war auch mit ein Grund, warum ich erneut für den Stadtrat kandidiere, auch in Zukunft Mehrheiten für Brecht zu schaffen, auch und vor allem über das Jahr 2015 hinaus. Diese Kulturpolitik, durch die das Festivalkonzept getragen wird, ist eine Politik, die alle erfassen, also möglichst einstimmige Beschlüsse erreichen muss, um vernünftige Bedingungen für die Zukunft zu sichern. Man kann zu Recht sagen, dieses Festival trägt maßgeblich dazu bei, dass Brecht nicht nur in Augsburg angekommen ist, sondern auch als eine Dachmarke der Kultur erhalten bleibt. Man muss auch die Frage klären, inwieweit sich die Bundesrepublik Deutschland ebenso wie der Freistaat Bayern langfristig bei Brecht in Augsburg einbringt. Auf Landesebene sind wir bisher sehr weit gekommen, das war eine beachtliche Leistung.

Trotzdem hat Joachim Lang budgettechnisch keine Planungssicherheit. Die 120.000 Euro aus Augsburg sind ihm zwar vertraglich zugesichert, allerdings machen die gerade einmal weniger als ein Drittel seines Gesamtetats aus.

Kränzle: Der Zuschuss aus München wird kommen. Das läuft über den Kulturdoppelhaushalt. Der aber noch nicht verabschiedet ist und macht den Etat auch nur zu maximal zwei Drittel klar.

Eine weitere Brechtbaustelle ist der Brechtpreis, der alle drei Jahre verliehen wird. Zur Preisverleihung ist das Theater halb leer, der Künstler bekommt seinen Scheck und am nächsten Tag druckt die Süddeutsche Zeitung eine Seite mit seiner Rede – während man in Augsburg, wenn man an dem Abend nicht im Theater war, den Preis kaum wahrnimmt. Was sollte sich hier ändern?

Schneider: Dieses Thema nehmen wir als Hausaufgabe mit. Man muss aber auch festhalten, dass wir mit Brecht in Augsburg in den letzten Jahren an Niveau gewonnen haben und sich mittlerweile große Künstler in Augsburg die Klinke in die Hand geben. Das Thema hat an Stellenwert auch national gewonnen und mit dieser Flankierung wird sicherlich auch das Thema Brechtpreis eine andere Wertigkeit erfahren, auch im bisher noch etwas unterentwickelten und wenig ausgeprägten Stolz der Augsburger darauf, was dieser Brecht eigentlich für diese Stadt bedeuten könnte, ein Schriftsteller von internationalem Rang, einer der größten Dramatiker des 20. Jahrhunderts.

Kränzle: Was ich noch kurz dazu sagen muss und was mich immer sehr, sehr positiv überrascht: Via Augsburg ist auch die Wahrnehmung von Brecht in München wieder gestiegen.

Nationales Renommee hatte auch schon das abc-Festival von Albert Ostermaier. Es ist doch kindisch, dass die Vertreter der Stadt bei offiziellen Anlässen gern davon sprechen, dass wir seit fünf Jahren ein Brechtfest in der Stadt haben. Ist es nicht langsam an der Zeit, die drei spannenden und auch nicht ganz erfolglosen abc-Jahre dazuzuzählen?

Kränzle: Ich habe kein Problem damit, denn ich war damals auch für Ostermaier. Joachim Lang kannte ich damals überhaupt noch nicht, ich habe ihn erst durch die Entscheidung im Kulturausschuss kennengelernt.

Schneider: Ich wehre mich sogar dagegen, nur die letzten fünf oder acht Jahre zu zählen. Das würde die Akteure unberücksichtigt lassen, die schon in den Achtzigerjahren im Stadttheater versucht haben, Brecht zu platzieren, sich damals allerdings unglaublich schwer damit getan haben. Auch unsere Aktivitäten im Brechtkreis haben ihre Wurzeln in den Achtzigern. Aber den großen Schub, den hat Brecht in Augsburg sicherlich durch Lang bekommen, da hat man die breite Masse erreicht. Ostermaier verfolgte ja ein eher elitäres Konzept, wobei ich seine Verdienste gar nicht schmälern will. Auch er hat fantastische Festivals gemacht und vielleicht hätte er sein Konzept ja auch noch ausgebaut. Wenn Sie also vom reinen Festivalgedanken her argumentieren, dann sollte man nicht zwischen Ostermaier und Lang trennen, sondern von acht Jahren Brechtfestival in Augsburg sprechen.