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Klassik

Klassik im Kino – Kino für die Klassik

Die Herzkönigin im Ballett »Alice’s Adventures in Wonderland« des Royal Ballet London © Royal Ballet & Opera

Ein Konzertbesuch von a3kultur-Filmexperten Thomas Ferstl

2007 traf die Finanzkrise die USA und in direkter Konsequenz Europa hart. Darunter litten natürlich auch die Opernhäuser. Vielleicht mit einer gewissen Vorahnung ausgestattet, rief der damals neue General Manager der Metropolitan Opera New York (Met), Peter Gelb, Ende 2006 ein Projekt ins Leben, um Aufführungen des Hauses live in Kinos weltweit zu übertragen. Gelb holte den erfahrenen Fernsehregisseur Gary Halvorson (u.a. »Friends«), um das Projekt zu leiten. Seit 2007 werden die Aufführungen auch live in Kinos in Deutschland und Österreich übertragen und haben seitdem in knapp 120 Liveübertragungen über 2,5 Millionen Zuschauer*innen in beiden Ländern begeistert. 2008 zog das Londoner Royal Ballet & Opera nach und kann ähnlich erfolgreiche Zahlen vorweisen.

Auch wenn ich die einzigartige Atmosphäre eines Live-Besuchs in einem Opernhaus nicht missen möchte, kann ich den Reiz der Liveübertragungen durchaus nachvollziehen. Gründe sind beispielsweise bequemere Sitze, klimatisierte Räume und eine andere Nähe zum Geschehen. Durch spezielle Kameraeinstellungen und -perspektiven, die für die Kinoübertragung optimiert sind, können die Zuschauer*innen Details und Nuancen der Aufführung erkennen, die in einem großen Opernhaus möglicherweise verloren gehen würden. Die Kameras fangen die Mimik und Gestik der Sänger sowie die Feinheiten der Bühnenbilder ein und können so ein intensiveres Erlebnis vermitteln. Die Übertragungen werden zudem häufig mit Hintergrundinformationen, Interviews mit Künstler*innen und Einblicken hinter die Kulissen angereichert, was das Verständnis und die Wertschätzung der Aufführung vor allem bei Opern- bzw. Ballettnoviz*innen vertiefen kann. Dass Liveübertragungen aus Opernhäusern in Kinos tatsächlich vor allem bei Neulingen einen positiven Effekt auf das Interesse an Musik- und Tanztheater haben, belegt die Dissertation des britischen Filmwissenschaftlers Joseph Attard von 2018. Das mag vielleicht auch an der konservativen Werkauswahl der betreffenden Häuser liegen, aber ist in unserer gebeutelten Kulturlandschaft nicht jede*r potentielle Theaterbesucher*in ein Gewinn? Frei nach Helmut Dietls »Monaco Franze«: Wer reinkommt, ist drin. Und wer sich übers Kino einen Zugang zu Oper oder Ballett verschafft hat, für den ist der Weg in unsere vielfältige deutsche Opern-, Ballett- und Theaterlandschaft zumindest ein Stück kürzer.

Persönlich ans Herz legen kann ich Ihnen Christopher Wheeldons Ballett »Alice’s Adventures in Wonderland« des Royal Ballet London, das gefühlt in jeder Saison auch im Kino sehen ist. Choreografische Vielfalt und ein extravagantes Bühnenbild machen dieses Stück zu einem Erlebnis. 

Sollte Ihnen der Weg ins Lichtspiel- oder Theaterhaus grundsätzlich zu weit sein, empfehle ich fürs Heimkino meine Top 3:

  • Oper: »Boris Godunow« (1989) – Verfilmung von Modest Mussorgskis gleichnamiger Oper. Speziell: Regisseur Żuławski entschied sich dafür, die Oper als theatralische Aufführung im Film zu präsentieren. Spektakulär.
  • Tanztheater: »Black Swan« (2010) – Der Psychothriller erkundet, was die Strapazen einer Ballettkarriere mit Körper und Kopf einer Tänzerin anstellen. Wunderbar unheimlich.
  • Klassik: »Amadeus« (1984) – Miloš Formans meisterhafte Interpretation von Wolfgang Amadeus Mozarts Leben. Historisch nicht ganz akkurat, dafür umso unterhaltsamer.

Doch lieber ins Kino? Vielleicht können Sie noch eine der letzten Vorstellungen des Biopics »Maria« mitnehmen, das bereits im Februar gestartet ist. Regisseur Pablo Larraín erzählt die Geschichte der schillernden Opernsängerin Maria Callas durch ihre eigenen Augen, als sie ihr tragisches Leben kurz vor ihrem Tod noch einmal durchlebt. Angelina Jolie spielt die Diva augenscheinlich mit jeder Faser ihres Körpers, zart und unterkühlt. Insgesamt ein intimes und bewegendes Porträt der Künstlerin sowie der Kunstform Oper, mit all ihrer Imagination, ihrem Kitsch und ihrer Melodramatik.
 

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