Architektur

Komm, wir probieren mal was Neues!

Gastautor

Ein Drittel der Treibhausgasemissionen eines Gebäudes entstehen schon vor der tatsächlichen Nutzung. Das Prinzip zirkuläres Bauen könnte eine Lösung für das Problem sein.

Im November 2022 begann der Abriss der alten Augsburger Stadtbücherei, einem schlichten Gebäude aus den 1950er-Jahren. Auf den ersten Blick erwartet man nicht, was dabei für ein Schatz gehoben wurde: eine gute Idee, die die Zu­kunft der Architektur und der Baubranche verändern soll und in Bayern zunächst einzigartig ist. Die Hochschulprofessorin Mikala Holme Samsøe, ihre Studierenden, Kathrin Fändrich (Leiterin im Bereich Hochbau, Staatliches Bauamt Augsburg) und das Bauamt Augsburg wagen das Pilotprojekt »Architektur. Im Kreis«.


Ein Umdenken ist dringend nötig, denn etwa ein Drittel der Treibhausgasemissionen eines Gebäudes entstehen schon vor der tatsächlichen Nutzung und die Baubranche insgesamt ist weltweit etwa für 38 Pro­zent der CO2-Emission verantwortlich. Auch war in den letzten Jahren ein großer Rohstoffmangel zu beobachten.

Aber was wäre, wenn man an diesen Tatsachen etwas ändern könnte? Alles, was es dazu braucht, ist eine Lösung, die eigentlich auf der Hand liegt – vor allem in Anbetracht der Herausforderungen unserer Zeit –, aber aktuell noch in den meisten Fällen missachtet wird: zirkuläres Bauen!

Wird ein Gebäude aus welchen Gründen auch immer abgerissen, muss nicht unbedingt alles auch entsorgt werden. Viele Teile sind noch intakt und können wiederverwendet werden. Das schont nicht nur verschiedene Ressourcen, sondern senkt auch die CO2-Emission. Diese Idee ist nicht unbedingt neu. Schon in der Antike und im Mittelalter wurden nicht mehr gebrauchte Bauteile aus Tempeln und Kirchen wiederverwendet. Auch wird diese Form des Bauens schon in anderen Ländern mehrfach praktiziert.

Zirkuläres Bauen: Gestalten und Entwerfen mit vorhandenen Baumaterialien

Die Hochschulprofessorin für Entwerfen und Gestalten Mikala Holme Samsøe möchte diese Idee vorantreiben. In Kooperation mit Kathrin Fändrich startet sie das in Bayern einzigartige Pilotprojekt »Architektur. Im Kreis« an der Hochschule Augsburg.

Im Herbst 2022 wurde die alte Augsburger Stadtbücherei abgerissen. Doch schon im vorangehenden Wintersemester haben Architekturstudierende die verschiedenen Bauteile vermessen, registriert und zusammen mit dem Start-up Concular (Online-Marktplatz für zirkuläre Bauteile) digitalisiert. Nun konn­ten Interessierte Türen, Waschbecken, Treppen, Fenster und weitere intakte Teile kaufen und wiederverwenden. Die Studierenden sollen durch dieses Projekt ein Gefühl von Wertschätzung für die einzelnen Bauteile bekommen. Ebenso fördert das Umdenken der bereits verwendeten Materialien die Kreativität. Es ist Mikala Holme Samsøe ein großes Anliegen, dass der Entwurfsprozess in Zukunft vor allem auch mit der Frage arbeitet: »Welche Ressourcen sind bereits vorhanden? Was ist noch gut erhalten? Und wie können die Bauteile angewendet werden?« Architektur muss Ästhetik mit Faktoren der Nachhaltigkeit verknüpfen. »Gebäude sollten geliebt werden, denn was geliebt wird, wird gepflegt, und was gepflegt wird, wird langlebig«, so die Hochschulprofessorin.

Zukunft fängt heute an

Wenn das politische Ziel der CO2-Reduktion bis 2030 gelingen soll, muss sich auch etwas in der Baubranche verändern. Grundsätzlich sollte weniger abgerissen und mehr im Bestand gearbeitet werden. Das geht aber nicht immer, also muss auch im Neubau ressourcenschonend gedacht werden. Die Professorin an der Augsburger Hochschule spricht von einer reduktiven Moderne, und das gelingt nur durch systemverändernde Maßnahmen.

Allerdings stehen neue Herangehensweisen wie dieses Projekt oft vor bürokratischen Herausforderungen. Verschiedene Regularien verhindern meist das Vorhaben. Mikala Holme Samsøe: »Dennoch ist die größte Hürde, die wir überwinden müssen, in unseren Köpfen. Wir als Gesellschaft haben uns an einen gewissen Lebensstil gewöhnt, der so allerdings nicht mehr mit den endlichen Ressourcen unseres Planeten zusammenpasst.«

Ähnliche Projekte wie dieses wurden in Ländern wie Dänemark, den Nie­derlanden und der Schweiz schon öfter realisiert. Und die Resonanz auf das Projekt unter der Federführung von Mikala Holme Samsøe zeigt, dass auch hierzulande der Stein ins Rollen gebracht wurde und so die Kreislaufwirtschaft hoffentlich bald elementarer Baustein der Architektur wird. Sowohl die Hochschule Augsburg als auch das Staatliche Bauamt Augsburg wurden bereits für weitere Transferprojekte zum zirkulären Bauen von Interessierten Transferpartner*innen aus Wirtschaft und Gesellschaft angefragt.

Transfer und Zusammenarbeit

Was das Projekt auch gezeigt hat, ist, wie wichtig Zusammenarbeit ist. HSA_transfer, die Agentur für kooperative Hochschulprojekte, hat das Projekt »Architektur. Im Kreis« mitgefördert. Die Transferidee ermöglicht es Hochschulen, der Wirtschaft und Gesellschaft, im Dialog und Austausch innovative Projekte zu realisieren. Durch den gemeinsamen Austausch und die intensive Zusammenarbeit wurde es möglich, einer anfänglich von vielen in der Baubranche und der Gesellschaft mit Skepsis betrachteten Idee zum Durchbruch zu verhelfen und viele Bauteile eines öffentlichen Gebäudes zum ersten Mal in Bayern zu recyceln, anstatt als Bauschutt zu entsorgen. Transferprojekte ermöglichen es, innovative Lösungen für drängende Zukunftsthemen zu ent­wickeln.

www.hs-augsburg.de/Architektur-im-Kreis