Architektur

Mehr als Wohnen

a3kultur-Redaktion

Die junge Wohnbaugenossenschaften Wogenau eG zwischen Selbstverwaltung und Verantwortung in Zeiten der Wirtschaftskrise. Ein Gastbeitrag von Dr. Hilde Strobl

Sonntagnachmittag im September in Augsburg: Rund dreißig Mitglieder der Augsburger Wohnbaugenossenschaft Wogenau eG treffen sich im Nebenzimmer der Gastwirtschaft Rheingold zum Workshop. Es wird geplaudert, die meis­ten kennen sich mittlerweile gut. Dabei sind Altersgruppen von Mitte zwanzig bis frische Rentner*innen, Alleinstehende und Familien. Ein Kind durfte mit, und ein Baby schläft abwechselnd bei Papa und Mama.

Diesmal geht es um das Thema Selbstverwaltung. Denn: Seit nun einem Jahr wird in verschiedenen Arbeitsgruppen zu Themen wie Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung für Vielfalt oder Formen des Zusammenlebens diskutiert. Im Fokus der Teilnehmer*innen des Workshops steht ein Wohnprojekt im Sheridanpark in Augsburg-Pfersee. Als Planer sind Einszueins Architektur aus Wien beauftragt worden, die in Österreich umfangreiche Erfahrung mit Wohnprojekten aufweisen können und sich über einige internationale Preise in ihrem Fachgebiet freuen dürfen.

Zum Bauvorhaben

Ein Holzbau um zwei Atrien mit Laubengangerschließung und einem zentralen Kernbereich in der Achse, in der die Atriumumbauungen aufeinandertreffen, öffnet sich gegen Norden mit einem großzügigen Platz und erdgeschossigen Einrichtungen wie einem großen Salon für Veranstaltungen, Werkstätten, Kiosk und einem Coworking-Bereich dem Quartier. Im Süden schließt ein den Bewohner*innen vorbehaltener Gemeinschaftsgarten an. Die Dächer werden ebenfalls gemeinsam genutzt und begärtnert, und für die Hauswände ist schattenspendende Fassadenbegrünung geplant. Das Begrünungskonzept des Gebäudes zielt ebenso wie ein in Arbeit befindliches erarbeitetes Mobilitäts- und Energiekonzept darauf, nachhaltige Nutzungs- und Lebensumstände zu schaffen.

Der Bau umfasst fünfzig Wohnungen unterschiedlichster Wohnungstypen und auch eine sogenannte Clusterwohnung. Diese schließt mehrere kleine Appartements mit gemeinsamen Aufenthalts- und Zugangsbereichen zusammen und richtet sich an flexibles Wohnen, auch für den kleineren Geldbeutel. Barrierearmut in den verschiedensten Bereichen (räumlich wie inhaltlich) ist ein wichtiges Ziel der Wogenauer*innen im Sheridanpark. Die Struktur der Genossenschaft sieht vor, dass die Wohnenden nicht Besitzer*innen der Wohnungen sind, sondern Anteilseigner am gesamten Haus. Für die Wohnungen wird eine Nutzungsgebühr erhoben. Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation aus Inflation und Zinssteigerung, Baukostenexplosion und Kürzung der bundesweiten Fördermittel seit Beginn dieses Jahres wirbelt den Finanzierungsplan der jungen Genossenschaft in den letzten Monaten permanent durcheinander. Es waren wirtschaftlich andere Voraussetzungen, als die Genossenschaft im Mai 2021 ihre Bewerbung beim ersten Konzeptvergabeverfahren der Stadt Augsburg im Sheridanpark für eines von vier Baufeldern eingereicht hatte. Die Wogenau eG hat gegen sechzehn Bewerbern den Zuschlag für ihr Wunschgrundstück erhalten. Der Vorteil für junge Wohnprojekte in städtischen Bewerbungsverfahren liegt darin, dass die Grundstücke zum Verkehrswert vergeben werden und nicht – wie auf dem freien Markt – das höchste Gebot zählt. Im Interesse der Stadt sind wiederum die inhaltliche Ausrichtung bzw. Zielsetzung der Gruppe, Lebensformen und Angebote, die sich über das Haus hinaus an das Quartier richten. Lebendige Nachbarschaften sind das Ziel des Vergabeverfahrens. Schon längst sind die vier Baugruppen, die den Zuschlag erhalten haben, in regem Austausch. Nicht nur die Wogenauer*innen lernen sich nicht erst beim Einzug kennen, sondern auch die Baugruppen sind gut vernetzt – auch ohne Gebäude. Die Qualität des partnerschaftlichen Miteinanders ist nicht zu unterschätzen.

Zurück zum Workshop: Schön sind die Profession und die Intensität, die sich in der Gruppe der Wohnungswilligen entwickelt haben. Kein Konsens ist vorausgesetzt, sondern Diskussionskultur. Rahmenbedingungen haben sich seit dem Beginn des Prozesses verändert, Schwerpunkte nicht. Grobe Ausrichtungen wurden fokussiert und jetzt geschärft. Wirtschaftliche Faktoren gewinnen an Härte – Abwägung, Dringlichkeit und Gewichtung sind die Folge und diskussionsrelevant. Wünsche verschieben sich situationsbedingt. Gerade weil sich gegenwärtig wirtschaftlich harte Barrieren aufbäumen, ist es umso wichtiger, das tatsächliche Ziel nicht aus den Augen zu verlieren und die Abstriche, die zur Verwirklichung unumgänglich sind, weiter klar zu fokussieren.

Wir sind ein Wohnprojekt unter vielen, denen die wirtschaftliche Situation gerade einen Stich versetzt. Nach Rücksprache mit der bundesweit vernetzten Mitbauzentrale München heben gegenwärtig viele Genossenschaften und Wohnprojekte in ganz Deutschland ihre Zuschläge für Grundstücke in kommunalen Vergabeverfahren auf. In neuen Verfahren gibt es wenige bis keine Bewerber. Auf bundesweiter Ebene wird diskutiert, wie unterstützt werden kann, da längst (nein: jüngst) das Bewusstsein für die Relevanz von jungen Genossenschaften vorhanden ist. Nach Rücksprache mit unseren Architekten (und auch aus der aktuellen Presse zu entnehmen) ist der Prozess der Rezession in Österreich langsamer, da der Staat weiter die Bauwirtschaft und den sozialen Wohnbau unterstützt. Die Rezession ist in Österreich dennoch im Wohnungssektor spürbar, schlägt aber langsamer auf. Die Maßnahmenlandschaft in Deutschland dagegen ist mäßig: Die Bundesregierung setzt weiter den Kurs auf Bestandssanierung, setzt immense Forderungen für Nachhaltigkeit mit geringem Förderspektrum und bietet damit keine Alternative für die Bauwirtschaft. Bundesbauministerin Geywitz hat vage Aussagen über ein Programm verlauten lassen, das ab April 2023 unter anderem Baugenossenschaften fördern soll (siehe auch Broschüre »Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive« des Bündnisses bezahlbarer Wohnraum vom 12.10.2022). Es ist an der Zeit, denn die Förderung von Wohnprojekten liegt bislang allein in den Händen der Kommunen. Trotzdem sind sie für eine lebendige Quartier- und Stadtentwicklung unerlässliche Partner. Sie bringen Engagement und Kompetenzen mit, die Investorenprojekten schlicht fehlen.

Dennoch: Schwere Zeiten erfordern Strategien dafür. Wir seitens des Vorstands informieren uns permanent und sind am Ball. Unser Handlungsspielraum ist auf rein kommunaler Ebene. Trotzdem: Der Club of Rome hat vor 50 Jahren die »Grenzen des Wachstums« proklamiert. Im September 2022 tagte er wieder. Nun sind wir an dem Punkt angelangt, dass die ökologischen Probleme sich mit den sozioökonomischen Belangen durchdringen und extrem auf die politischen Ausrichtungen wirksam werden. Wenn soziale Rahmenbedingungen, zu denen auch das leistbare und lebenskonforme Wohnen zählt, nicht erfüllt werden, steigen Unsicherheit für die Zukunft, Ungleichgewicht in der Gesellschaft und Frustration. Diese zeichnet sich auch in politischen Wahltendenzen für radikale Splittergruppen ab.

Die junge Genossenschaft Wogenau eG trat bei ihrer Gründung im Herbst 2019 mit dem Ziel an, aktiv an der Gestaltung ihrer Stadt mitwirken zu können und Impulse zu setzen – auch in Umbruchszeiten. Wenn niemand schreit und Interessen vertritt, geht Gemeininteresse unter.

 

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