Paradies mit Fragezeichen

»Deep Paradise« – schon der Titel wirft Fragen auf. Wer die Schöpferin der so betitelten Videoinstallation, die seit Freitag, den 3. November in St. Konrad im Stadtteil Bärenkeller zu sehen ist, und für die der von sechs Mann kaum zu stemmende Jesus am Kreuz abgehängt und quer über die Kirchenbänke gelegt wurde, kennt, weiß, dass dies nicht ganz so harmlos und unbedarft zu verstehen ist, wie es sich zunächst ins Ohr schmiegt. 

»Deep Fake« ist der Begriff, der zurzeit die Runde macht, vor allem in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz, die unser Vertrauen in medial verbreitete Realitäten und Informationen seit kurzem verstärkt auf die Probe stellt. Hier ist er in abgewandelter Form der dokumentarisch gefärbten Arbeit zum Thema Jenseitsvorstellungen vorangestellt.

Erika Kassnel-Henneberg, Jahrgang 1973, gelernte Vergolderin, Designerin, Medienkünstlerin und seit 2022 Kunstpreisträgerin des Landkreises Augsburg, nutzt für ihre Arbeit oft Künstliche Intelligenz und schafft damit manchmal unheimliche, mitunter recht verstörende Ergebnisse. Diese sind bei dieser Installation freilich nicht zu befürchten, wenngleich doch ein Quäntchen Provokation zu finden ist. 

Fast mit einer Portion Kitsch, unterlegt mit süßlicher Klaviermusik und Sternenhimmel, führt Kassnel-Henneberg die Betrachter*innen an das heran, was sie vor Augen führen will: Die Frage, wo das Paradies zu finden ist, und für wen.

Wo ist das Paradies? Wer ist das Paradies?

Die Elemente, aus denen sich der Garten Eden zusammensetzt, werden angedeutet, entziehen sich aber einer klaren Tendenz. Mit Orten hat es zu tun. Die sind so exotisch nicht: eine Reihenhaussiedlung, eine Grünanlage im Bärenkeller oder anderswo, kurz: unsere alltägliche Umgebung, friedlich und zuweilen sonnig, immerhin. Aber hier auch menschenleer. »Ist dies das Paradies auf Erden?« fragt die Stimme in einem von vier sich wiederholenden Textfragmenten. Das muss natürlich jede*r für sich entscheiden.

Mit Menschen hat es zu tun. Die sind als kleine Auswahl vertreten, in allen Hautfarben und Altersklassen und zumindest den gängigen Geschlechtern. Oder?
Je nachdem, wie streng man die Bibel auslegt, könnte sich der eine oder die andere durchaus daran reiben, wer da alles mit der Heiligen Familie (die uns spätestens in der Adventszeit wieder öfter in ihrer klassischen Ikonografie begegnen wird) in Verbindung gebracht wird, und in welcher Rolle. Erika Kassnel-Henneberg hat hierzu mittels oben schon erwähnter KI diverse Identitäten geschaffen, die alle um das zentrale Element, einen goldenen (zur Erinnerung: Vergolderin!) Apfel kreisen.

Gold (wenngleich hier als CGI-Oberfläche) ist in der christlichen Kunst immer die Farbe des Himmels; der Apfel, zumindest hier, etwas Fruchtbares, Nährendes, schließlich ist draußen Herbst.

Die sechsminütige Videoschleife ist sicher gefälliger, als sie hätte ausfallen können, aber es sind angespannte Zeiten, und geht ja auch um nichts weniger als das Paradies. Und das soll schließlich möglichst vielen Menschen, auch den weniger Medienkunst-erprobten, offenstehen.

»Deep Paradise« ist noch bis 3. Dezember täglich zwischen 10 und 18 Uhr in St. Konrad in der Bärenstraße (neben der Bärenkeller-Schule) nonstop zu sehen. Während der Gottesdienste wird das Video abgeschaltet.