Pop und Politik
Daniel Richter ist ein Mann mit vielen Eigenschaften. Als Chef des Hamburger Labels Buback gehört er zu den Menschen, die sich des Artenreichtums im Soundkorridor zwischen Nordsee und Wienerwald annehmen. Bands und Interpreten, die im Zeichen der erhobenen Hand dieses Labels segeln, zeigen Haltung und pflegen ihren Stil. Musik von Deichkind, Distelmeyer, FSK oder Gustav erlaubt es auch dem, der längst aus dem Zielgruppenraster anderer Musikverwerter gefallenen ist, an die Zukunft von Pop zu glauben.
Im August 2009 besetzten unter Richters Schirmherrschaft einige Hundert Künstler das Gängeviertel in Hamburg und forderten Arbeitsraum und den Erhalt der historischen Gebäude. Im November 2009 wurde das Manifest »Not In Our Name, Marke Hamburg!« ausgerufen. Die Initiative namens »Komm in die Gänge« forderte »ein selbstverwaltetes, öffentliches und lebendiges Quartier mit kulturellen und sozialen Nutzungen« und hatte Erfolg. Der Senat beugte sich den Forderungen, dem Investor wurde der Vertrag gekündigt und der Kaufpreis zurückerstattet und aus der Initiative entwickelte sich eine Genossenschaft, die das Projekt heute befeuert und pflegt.
»Natürlich bin ich als Künstler politisch, alles andere wäre einfach langweilig.« Ich erreiche Daniel Richter in seinem Berliner Atelier, als er sich gerade mit dem Malerkollegen Albert Oehlen zum Mittagessen aufmachen möchte. Er verzichtet für unser Gespräch auf den Aperitif, denn der Augsburger Kunstverein zeigt seit Ende November seine Schau »mamillen, spandrillen, ronald«. Großformatige Siebdrucke im Erdgeschoss erinnern an die Collagen von John Heartfield aus den Dreißigerjahren ebenso wie an die Wandbilder global agierender Streetartkünstler. Seine Themen auch. Von jedem Plakatmotiv, das in der Ausstellung zu sehen ist, wurden fünf Exemplare produziert, die zu einem Stückpreis von 4.000 Euro angeboten werden. Kunst von Richter erzielt fantastische Preise, und dieses Geschäft folgt einfachen Regeln. Auch wenn er die Plakate eigentlich gern in einer Auflage von 50.000 Stück an jeder Hausmauer plakatiert sehen möchte. Eine Etage höher wird es auf einen Schlag intim und dem politischen Plakat die erotische Zeichnung gegenübergestellt. »Beides sucht die Erregtheit des Betrachters, die eine will ihn massenhaft auf die Straße rufen, die andere alleine auf den Sessel, und beide erzielen eine ähnliche Wirkung: Erschöpfung« – so ein Zitat aus der Einladung. www.danielrichter.de
Gerald Fiebig gehört zu den Künstlern, die für die intellektuelle Schubkraft in unserer Kulturregion sorgen. Zunächst machte er als Lyriker und Herausgeber einer Literaturzeitschrift auf sich aufmerksam. Leidenschaftlich stürzt er sich seit einigen Jahren in die Erkundung neuer Klangbilder und Soundlandschaften. Unaufgeregt wie unerbittlich hat er sich damit eine Fangemeinde er-experimentiert, die dann und wann auch dreistellig daherkommt, wie zuletzt beim Auftaktkonzert von Jetzt:Musik!, der Augsburger Gesellschaft für Neue Musik, im tim.
Zum dritten Mal wurde ihm in diesem Jahr der Kunstförderpreis der Stadt Augsburg verliehen, in der Sparte Bildende Kunst. »Kulturreferenten kommen und gehen – Gerald Fiebig bleibt!« Dieses Bonmot von Kulturreferent Peter Grab kann in Teilen auch als Kurzform des Wahlprogramms der Polit-WG verstanden werden. Gerald Fiebig freut sich hörbar, mit diesem Zitat aus der letzten Preisverleihung im Goldenen Saal des Rathauses zu spielen. Schließlich hat er sich mit einer Handvoll Gleichgesinnter aus unterschiedlichen Szenen zusammengetan, um mit der Wählergemeinschaft Polit-WG unter anderem genau das zu erreichen, nämlich das Ende der Amtszeit des derzeitigen Kulturreferenten einzuläuten. Dessen Politik aus Etatkürzung und Biennalekonzept war Anlass für den Künstler, einen Förderverein für das Kunst- und Technologiefestival Lab.30 mit zu initiieren und so zum Fortbestanddes Events beizutragen. Von da an war es ein kleiner Schritt, sich organisiert in der Politik zu Wort zu melden. Zum Glück findet Gerald Fiebig neben Job, Familie und Politik noch Zeit für die Musik. Brandneu liegt nach einigen CD-Produktionen nun seine erste LP »Split« mit »Ambientmusik in künstlerisch gestalteter Unikat-Verpackung« vor. Das auf 100 Exemplare limitierte Gesamtkunstwerk ist beim lokalen Experimentalmusik- Label attenuation circuit erschienen und für 20 Euro exklusiv in der Buchhandlung am Obstmarkt erhältlich. www.geraldfiebig.net
Franz Dobler: »Bei einer Lesung in Hamburg quatschte ich mehr, als dass ich Texte gelesen hätte. Was aber der Plan war. Einerseits politisch angestoßen, das ekelhafte Deutschland-Gelaber überall, andererseits weil mich gerade die Hamburger Band Die Regierung gepackt hat. Mit deutschen Texten. Das es inmitten des Deutschland-Gelabers plötzlich auch wieder gute deutsche Texte und Bands gibt … Verblüffte mich selber, weil ich mich seit Jahren nicht mehr für Deutschrock interessierte …« (1992)
Kurz nach Erscheinen von »The Boy named Sue – Aus den Memoiren eines zerstreuten Musikliebhabers« vor wenigen Wochen in der Edition Tiamat wurde der Augsburger Autor Franz Dobler zum Literaturgespräch ins Sensemble Theater geladen. Es sollte an diesem Abend um Popliteratur gehen, mit dem Ergebnis, dass diese Schublade wohl zu Recht für die nächste Zeit verschlossen bleiben sollte. Dobler wurde in den Achtzigerjahren neben Autoren wie Thomas Meinecke oder Thomas Palzer zu einer neuen Generation von Popliteraten gezählt. Ihnen wurde angetragen, das Erbe von Brinkmann, Fichte und Co. weiterzutragen. Doch ein Label, das in den Sechzigern den literarischen Gegenentwurf zum Alleinvertretungsanspruch der institutionalisierten Gruppe 47 bündeln konnte, wurde im wiedervereinigten Deutschland schnell zum Etikett, das sich zu viele ans Revers stecken wollten oder einfach gesteckt bekamen. Heute begegnet Dobler dem Begriff Pop im besten Fall mit Gleichmut. »Spätestens nach Titelseiten wie ›Papst wird Pop-Ikone‹ der Bild war mir klar, dass hier ein Begriff dabei ist, sich in seiner Bedeutung völlig zu wandeln. Ich vermisse die Stimmen der Leute, die den Pop verteidigen sollten. Da ist niemand da, außer vielleicht die Hamburger, die halten Pop noch hoch.« Seine Skepsis schließt jegliche Übernahmeversuche des Pop durch Politiker mit ein. »Die haben keine Ahnung, ich weiß es aus sicherer Quelle. Wie auch, wenn man außer seinem Jura- oder BWLStudium nie etwas erlebt hat. Also halten sie es für Rock ’n’ Roll, sich einmal im Monat zu besaufen und dabei einen Song von den Toten Hosen mitzugrölen.« www.franzdobler.de
Stefan Schleifer ist seit einigen Wochen der Beauftragte für Popkultur in Augsburg. »Politische Themen sind natürlich immer wieder Impulsgeber für Künstler. Denk an Streetart, denk an die Folkszene oder an Punk. Darüber hinaus hat die Politik aber auch Möglichkeiten, für eine gewisse Schubkraft in der Popkultur zu sorgen. Sei es durch Förderprogramme, Gesetzgebung oder schlicht durch eine konkrete Wahrnehmung dessen, was sich in den Szenen abspielt. Wenn die Popkultur aber zum Spielball der Politik verkommt, läuft sie sich tot. Außerdem sollten Politiker die Deutungshoheit über popkulturelle Themen besser Leuten überlassen, die sich auskennen.«
Schleifer weiß, wovon er spricht. Sein Vorgänger Richard Goerlich begab sich in dieses gefährliche Fahrwasser und zog zu spät die Notbremse. Das Resultat: Fast zwei Jahre blieb die Stelle unbesetzt und der neue Mann darf nun an einem Punkt neu ansetzten, über den der alte Mann längst hinweg war. Als Einmannteam und ohne nennenswerten Etat beackert er nun ein Feld, das allein in Stichpunkte gefasst zwei Seiten füllt. Und er muss aufpassen, was er sagt. Pop ist in Augsburg Sache der Chefs. Sowohl der Oberbürgermeister als auch der Kulturreferent wollen mit seinem Posten im Wahlkampf punkten. www.pop.augsburg.de
Frank-Markus Barwasser gehört zu den bekanntesten Kabarettisten in Deutschland. Ausgerüstet mit Cordhütchen und scharfem Verstand treibt er vorzugsweise Politiker in seinen diversen Shows vor sich her und bringt damit die Zuschauer zum Lachen. Wenn alles gut geht, auch zum Nachdenken. »Ich mache mir keine Illusionen. Wenn ein paar Gedanken bis zur Pause hängen bleiben und die die Leute sich dann über ein Thema unterhalten, das sie eigentlich nicht schert, ist das für mich o.k.« Mittels seiner unbeholfen wirkenden Kunstfigur Erwin Pelzig schafft er so etwas wie einen barrierefreien Zugang für oft sperrige Themen und versteht sich dabei ganz selbstverständlichen als Teil der Popkultur. Frank-Markus Barwasser unterstützt die Arbeit einiger kleinerer sozialer Projekte, vorzugsweise im Kampf gegen Rassismus oder bei Aktionen gegen die Gentrifizierung unserer Städte. Unlängst beteiligte er sich gemeinsam mit ein paar Kollegen an einer symbolischen Hausbesetzung in bester Münchner Innenstadtlage und verhalf damit den Aktivisten der Protestvereinigung »Goldgrund« zu einem medienwirksamen Presseevent. Dem Münchner Oberbürgermeister Christian Ude treibt es bis heute Schweißperlen auf die Stirn, wenn er der Öffentlichkeit erklären muss, warum stadteigene Immobilien seit Jahren trotz akuter Wohnungsnot leer stehen. »Renditehungriges Geld aus aller Welt sorgt dafür, dass Menschen in meiner Nachbarschaft, obwohl sie vernünftig verdienen, mehr als die Hälfte ihres Nettolohns für die Miete aufbringen müssen und damit von Armut bedroht sind. Nur eine funktionierende Nachbarschaft macht eine Stadt erst lebenswert. Mit Wochenendwohnern, die nur zum Einkaufen und Ausgehen hier einfliegen und ihre Luxuswohnungen von Montag bis Freitag leer stehen lassen, kann keine gemütliche Stadtlandschaft entstehen.« Auch für den Skandal um den Verkauf der 33.000 landeseigenen GBW-Wohnungen an das von Augsburg aus agierende Konsortium um die Patrizia AG findet Barwasser deutliche Worte. Am 23. Januar 2014 ist er mit seiner Show »Pelzig stellt sich« in der Stadthalle Gersthofen zu Gast. www.pelzig.de