Architektur

Tote Winkel: Wenn sich Freiräume leer anfühlen

a3kultur-Redaktion

Augsburg ist dran – an der Belebung öffentlicher Plätze. Wo mit Erfolg, wo (noch) nicht? Martina Vodermayer hat für a3kultur einige »dritte Räume« erkundet. Leerstände in Augsburg – Teil 4

Auch urbane Freiflächen wollen gefüllt sein – mit Lebensqualität und Flair. Diese Größen sind nicht leicht zu quantifizieren. Wo sie fehlen, da »todelt« es, wie der Bajuware sagt. Unlängst ging Augsburg wieder als »steinerne Stadt« durch die Medien, unsere Verantwortlichen kennen das Thema. 2009 startete die Kampagne »Lebe mich – Dein Augsburg«. Relikte sind an einer abschreckenden AVV-Haltestelle zu finden, wo sich, entgegen dem blumigen Slogan, kaum jemand »wie zu Hause« fühlt.

Knapp 15 Jahre später gibt’s neue »instagrammable points« in der City, etwa die schrecklich nette Pärchenschaukel – doch reichen solche Schnellschüsse aus, um wirkliche soziale Räume zu schaffen? Auf der autofreien Maxstraße funktionieren Bänke und Bäumchen prinzipiell als Dream Teams. Ein unpersönliches Leeregefühl schwebt weiter über der ruhig gestellten Prachtmeile. Das mag strukturelle Gründe haben – zu viele charmante kleine Läden mussten Leihhäusern oder Immobi­lienbüros weichen, zahlreiche Gastrobetreibende kapitulieren vor dem wuchernden Regelwerk neuer Gestaltungsrichtlinien, die alle der Schönheit unserer Stadt dienen sollen.

Kleinstädte wie Landsberg, Mindelheim oder Memmingen leben herzlichen Empfang und Geborgenheit im öffentlichen Raum vor. Ganz anders die Atmosphäre am Augsburger Rathausplatz: Beim Betreten der Kopfsteinwüste fühlt man sich als Fremdkörper, hier »verschenkt« die stolze UNESCO-Stadt ihr Herzstück. Nun überprüft man Pläne zur Begrünung, spannend bleibt, wann und wie diese umgesetzt werden.

Viel üppige Vegetation, dagegen wenig Infrastruktur findet sich beispielsweise im Wittelsbacher Park. Gerade Familien vermissen schmerzlich eine Station für leibliche Ver- und Entsorgungsbedürfnisse. Die neuerdings in städtischen Grünzonen verteilten, scheinbar vom Himmel gefallenen Chemietoiletten mögen zum Notbehelf taugen, als Konzept scheiden sie freilich aus. Warum gönnt sich Augsburg nicht mehr lie­benswerte Oasen wie den Kiosk am Roten Tor, wo Menschen aller sozialen Schichten friedlich aufeinandertreffen? Ein »Pilz 2.0« am Königs­platz käme sicher gut an, ebenso zwei, drei »Parkhäusl«-Satelliten im Grünen, gerne auch am Reese- und Sheridanareal.

Entschleunigten Aufenthaltsgenuss kennt man vom Augsburger Stadtmarkt – allerdings bislang nur tagsüber. Gegen 18 Uhr schließen hier die Tore – warum eigentlich? Schön wären regelmäßige After-Work-Optionen nach Münchner Vorbild, was der zwanglosen Vernetzungskultur dienen und die Fußgängerzone abends beleben könnte. 
Sonntags sperrt der Stadtmarkt Passant*innen aus – diese müssen entweder über den ehrwürdigen Annahof ausweichen oder vorbei am Ernst-Reuter-Parkhaus, um hier einen der »totesten« Winkel unserer Stadt zu erleben. In dem Schlauch zwischen grauen Betonfassaden existiert eine Sitzecke, auf der vermutlich noch nie jemand saß. Beim Durchflüchten des fußgängerfeindlichen Angstkorridors übersieht man das Arrangement von pflegeleichten, vandalismussicheren Betonklötzen. 

Dicht am Plärrer gammelt der Nymphenbrunnen weiter vor sich hin. Für die Instandsetzung des vernachlässigten Kleinods, 1928 vom Augsburger Bildhauer Fritz Beck geschaffen, müssten angeblich einige große Kastanien weichen. Gibt es wirklich keine Alternative, um hier wieder kühles Nass sprudeln zu lassen, wie es sich für eine Stadt mit Was­ser-Welterbe gehört?

Mit etwas (mehr) Mut und Kreativität, ergänzt durch guten Willen, könn­te Augsburg einladende »Wohlfühlorte« hinzugewinnen und dauerhaft herzliche Wärme ausstrahlen – für Einheimische wie Besucher*innen.
In die richtige Richtung weist ein gelungenes Experiment in der Fußgängerunterführung am Kongresszentrum: Das Kunstkollektiv Schöne Felder e.V. verwandelte den gespenstischen Unort in eine Freiluftgalerie auf Zeit. Wachsender Leidensdruck an unpersönlichen, chaotischen Plätzen zwingt die Stadt Augsburg hoffentlich vermehrt zum Handeln, gerne auch nachhaltig. Damit unsere »dritten Räume« besser funktio­nieren – als großes Wohnzimmer und vorzeigbare Visitenkarte zugleich. 

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