Literatur

Warum Diversität kein Trend ist

Gastautor

Ob im Modelbusiness, bei der anstehenden Oscarverleihung oder in der Werbung: Der Ruf nach Diversität wird immer lauter und es zeigen sich Veränderungen. Auch einige Teile der Verlagsbranche haben diese Entwicklung bemerkt und ihr Programm dementsprechend angepasst. In den Vorschauen für Frühling und Herbst finden sich also beispielsweise mehr Bücher von Schwarzen* oder Queeren Autor:innen, als es die letzten Jahre der Fall war. Dies zeigt sich auch im Buchhandel, online wie stationär, wo es immer mal wieder Rubriken wie »LGBTQ-Literatur« oder »Black Lives Matter« gibt. Doch auch wenn diese Entwicklung durchaus positiv und vor allem längst überfällig ist, werden auch Probleme sichtbar.

Ein Blick in die Verlagsvorschauen, in die sozialen Netzwerke und Marketingkampagnen der Buchbranche zeigt immer wieder das Stichwort »Trend«. Erst mal eine kluge Strategie, bezeichnet der Begriff doch die Beliebtheit einer Sache. Was im Trend ist, also »in«, ist begehrenswert, erstrebenswert. Wer nicht mitmacht, gehört nicht dazu, ist von gestern. Was trendig ist, scheint außerdem von Qualität zu sein, denn schließlich muss es ja einen Grund für die Beliebtheit geben. Der Plan geht auf, die Nachfrage nach diversen Themen steigt. Wo liegt also das Problem?

Die Bezeichnung von Diversität als »Trend« suggeriert, diese sei eine zeitweise Modeerscheinung, die momentan von Interesse ist und den jeweiligen Zeitgeist verkörpert, jedoch nur so lange, bis sich ein neuer Trend bemerkbar macht. Trends schlagen Wellen, leben kurzzeitig hoch und verebben dann wieder. In der Modewelt waren es in den Siebzigerjahren die weiten Schlaghosen, in den Achtzigerjahren die Schulterpolster, die Neunziger waren geprägt von extrem tief sitzenden oder viel zu weiten Jeans. Wer im Trend liegen wollte, hat mitgemacht. Keiner von diesen Trends hat allerdings allzu lange überlebt, jeder wurde vom nächsten abgelöst, bis er vielleicht ein paar Jahrzehnte später noch einmal eine kurze Renaissance feierte und wieder verschwand.

Genau das darf mit Diversität nicht passieren. Diversität ist keine momentane Laune des Markts, sondern schlicht der Wunsch, Realität abzubilden. Wenn wir von Diversität sprechen, ist in erster Linie die Rede von Inklusion und Involviertheit aller Menschen. Es geht dabei darum, alle Menschen zu repräsentieren und damit insbesondere marginalisierte Gruppen sichtbar zu machen. Das Ziel der Bemühungen um Diversität ist es, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen marginalisierten und marginalisierenden Personen. Wenn diese Bemühungen als »Trend« bezeichnet werden, nimmt das ihnen ihre Ernsthaftigkeit und ihre Notwendigkeit. Es zeigt eine Bereitschaft, Platz und Sichtbarkeit für und von diversen Personen und Themen zu schaffen, jedoch nur so lange, bis das Interesse an ihnen verloren geht.

Diversität ist kein Trend, weil die Menschen, die sie betrifft, keiner sind. Die Erfahrungen einer Schwarzen Autorin sind keine Modeerscheinung, die Texte eines Transautors sind keine Laune des Buchmarkts. Sie sind Wahrheit und Realität und müssen als solche denselben Respekt, dieselbe Anerkennung und denselben Entfaltungsraum zugestanden bekommen wie ihre privilegierten Mitmenschen. Soll die Buchbranche sich in dieser Hinsicht bessern, und dies auch langfristig und ernsthaft, darf Diversität nicht weiter als Trend behandelt werden.

Wenn wir das Thema wirklich ernst nehmen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass die Debatte um einen diversen Buchmarkt nicht abflaut. Verlage müssen nicht nur bei ihrer Auswahl an Autor:innen entsprechend handeln, sondern auch innerhalb der eigenen Reihen gesellschaftliche Realität abbilden. Das gilt ebenso für Buchhandlungen, Buchmessen und andere Bereiche der gesamten Branche. Letztendlich ist es jedoch auch an der Leserschaft, die eigenen Lesegewohnheiten zu betrachten und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wenn wir Diversität fordern, in den Buchhandlungen nach diversen Themen, Büchern und Autor:innen fragen, wird die Branche reagieren. Statt die Bemühung um Diversität als Marketingstrategie zu akzeptieren, sollten wir sie als das anerkennen, was sie ist: eine Kampfansage gegen Diskriminierung. Die Frage ist: Auf welcher Seite wollen wir stehen?

* Schwarz und Queer sind hier groß geschrieben, um deutlich zu machen, dass es sich hier Beschreibungen von Diversität handelt.


Aktuelle Buchtipps:

Hengameh Yaghoobifarah – Ministerium der Träume, Roman, 381 Seiten, 2021: Sprachgewaltiger, schonungsloser Roman über Wahl- und Zwangsfamilie, Trauer und bedingungslosen Zusammenhalt.


Kübra Gümüşay – Sprache und Sein, Sachbuch, 207 Seiten, 2020: Ein leidenschaftliches Plädoyer für eine facettenreiche Sprache, die Diversität abbildet und auf Augenhöhe funktioniert.

Linus Giese – Ich bin Linus, Biografie/Sachbuch, 221 Seiten, 2020: Offen, ehrlich und packend erzählt Linus, wie er zu dem Mann wurde, der er schon immer war, und räumt dabei mit Vorurteilen auf.

Sophie Bichon – Und ich leuchte mit den Wolken, Roman, 448 Seiten, erscheint am 13. April: Die Augsburger Autorin erzählt die emotionale Geschichte von Mignon und Lilou, die erkennen, dass Liebe keine Grenzen kennt.

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