Theater & Bühne

Wiener Schmäh und Milka-Reh

a3kultur-Autorin Iris Schmidt kann von »Effi, Ach, Effi Briest« nicht genug bekommen und wird zur Wiederholungstäterin werden. Sie findet, es ist ein Stück für alle: Gen Z, Boomer und alle, die Fontane lieben oder blöd finden.

Ein »ACH« prangt in Großbuchstaben in aperol-orange auf der Brechtbühne des Staatstheaters Augsburg. Die junge Effi (Christina Jung) und ihre Freundinnen begrüßen brav in Reih und Glied das Publikum, spielen unschuldig im Garten, und schwupps – da ist die Kindheit auch schon vorbei! Klein Briest muss, soll oder darf den abgelegten Liebhaber ihrer Mutter heiraten, der über 20 Jahre älter ist als sie und irgendwo am Ende der Heide wohnt. Toll. Dennoch nimmt sich die kleine Rabaukin mit blauer Haarsträhne und herrlicher Berliner-Göre-Attitüde vor, »eine richtige Dame zu werden«, immer gut zuzuhören und an den richtigen Stellen zu nicken.

Dann nimmt das Drama seinen Lauf: Einsamkeit, Schwangerschaft, Affäre, Umzug nach Berlin, Duell, Scheidung, Verstoßung und so weiter und so fort. Moritz Franz Beichl erzählt in seinem Schauspiel ganz frei nach, von, mit und ohne Fontane die weltbekannte Geschichte aus dem Jahr 1895. Der junge Österreicher schafft mit Effi, Ach, Effi Briest den Spagat zwischen Bewunderung des Autors einerseits und kritischer Analyse sowie kreativer Weiterführung des Textes andererseits. Regisseurin Nina Mattenklotz kreiert daraus einen irrwitzigen, intelligent konzipierten, gut durchdachten, modernen Abend mit viel Liebe zum Detail, Witz, Ironie und einem guten Gespür für Slapstick. Dank Live-Kamera-Einsatz, zahlreicher Metakommentare und musikalischer Einlagen – mal herzzerreißend, mal bissig, mal zum Brüllen komisch – sowie dem grandiosen Schauspielensemble vergehen die knappen zwei Stunden wie im Flug.

Mirjam Birkl präsentiert uns den Oben-ohne-Crampas, der krampfhaft sexuell aufgeladen seinem Ruf als Damenmann gerecht werden muss, mit solch einer selbstverständlichen und coolen Nonchalance (und natürlich mit Wiener Schmäh!), dass es beeindruckt. Ihm gegenüber steht Mehdi Salim alias Neue-Deutsche-Welle-Geert mit 80er-Vokuhila, der so richtig Bock auf große Karriere hat. Zum Beömmeln: das Duell der beiden im verschiebbaren Vorgarten-Kunstrasen (Kostüm und Bühne: Johanna Pfau), das durch offensichtlich sinnfreies Prokrastinieren die Albernheit des altertümlichen Konstrukts »Ehre« aufzeigt.

Effis Fels in der Brandung ist Klaus Müller alias Kindermädchen Roswitha. Niemand wandelt so elegant in einem grünen Wiesenkleid auf der Bühne. Mal Diva, mal Mary Poppins, mal Chansonnier – mit seiner magischen Aura und adligen Attitüde sorgt er für ruhige, schöne und lustige Momente. Die Lieblinge des Premierenabends waren eindeutig die Eltern Briest. Sebastian Müller-Stahl als stummer, von der Kamera und den feministischen Themen überforderter Vater und Sarah Maria Grünig als dauerquasselnde, sektschlürfende und ihren zweiten Frühling erlebende Real Housewife of Jahrhundertwende überzeugen durch ihr detailreiches Spiel in Mimik, Gestik und Komik. Ihren Höhepunkt und verdienten Szenenapplaus erreichen die beiden in der finnischen Dampfsauna, zu der Effis ehemalige Kinderstube umfunktioniert wurde.

Feministisches Empowerment, ein ausgestopftes lila Milka-Reh, die Bloßstellung patriarchaler Klischees und Ansichten verleihen dem Stück einen dicken, fetten optimistischen Funken und lassen Effi am Ende nicht wirklich im (Bühnen)-Regen stehen.

Ein Stück für alle: Gen Z, Boomer und alle, die Fontane lieben oder blöd finden. Ich werde es mir auf jeden Fall noch einmal ansehen und gönne mir dazu ein schönes orangefarbenes Aperölchen. Das wird herrlich. Effi. Ach!

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