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Das Textilviertel

das textilviertel
a3kultur-Redaktion

In dem ehemaligen Industriegebiet wächst das neue kulturelle Herz von Augsburg.

Das zentrumsnahe Quartier zwischen Altstadt und Lech hat sich mit historischer Industriearchitektur, welterbewürdigen Kanallandschaften und seinen bedeutenden Kulturorten mit Theatern, Museen und Ausstellungsräumen zum kulturellen Herzen und Kraftzentrum von Augsburg gemausert. Eine Erkundung zu Fuß trägt dennoch abenteuerliche Züge. Die Infrastruktur des Quartiers ist entwicklungsfähig. Seit Jahren bemängeln Bürger*innen eine unzureichende Anbindung des Quartiers mit Bus und Tram. Sie klagen über fehlende Parkplätze und eine kaum wahrnehmbare Beschilderung an den Zufahrtsstraßen zu den Kulturorten. Ein Leitsystem, das die mehr als 300.000 jährlichen Besucher*innen auf die eigentlich vorhandenen Geh- und Radwege zwischen Glaspalast, Fabrikschloss, Martini-Park, ehemaliger Kammgarnspinnerei und NAK lotsen würde, existiert nicht. Auch aus diesem Grund nimmt unser Autor die Leser*innen mit auf den Weg.
prinzstrasse

1 Prinzstraße

Wir starten unsere Exkursion in der Prinzstraße. Sie ist über die Altstadt oder die Wallanlagen beim Roten Tor gut erreichbar. Die Buslinie 35 hält in unmittelbarer Nähe. Die Tramlinie 6 durchquert sie. Wir folgen ihren Gleisen bis zur Haltestelle Textilmuseum und gelangen von dort direkt auf das Gelände der ehemaligen Kammgarnspinnerei.

kammgarn spinnerei

2 Kammgarnspinnerei 10 Min.

Hier finden wir, als erstes Pflichtziel unseres Spaziergangs, das tim. Gut 100.000 Besucher*innen finden jährlich den Weg ins Staatliche Textil- und Industriemuseum. Der einzigartige Sound seines Maschinenraums, der abwechslungsreiche Aufbau seiner Dauerausstellung, die Faszination seiner Sonderschauen, sein innovativer Museumsshop oder die Qualitäten des dortigen Restaurants Nunó: Es gibt viele Gründe, das tim zu besuchen, und alle sind gut. 

Gemeinsam mit dem neuen Stadtarchiv und dem Depot der Archäologischen Sammlung bildet das tim ein Triptychon der Kultur auf diesem historischen Industriegelände. Die Architektur wirkt reizvoll und solide. Praxen, Gewerbe, ein Hotel und etwas Gastronomie haben sich angesiedelt. In nächster Nähe finden sich die Livemusikinstitution Provino Club, die Manufaktur Filzwerkstatt und der Projektraum Zeichenwerk. Die Wohnbebauung in zweiter Reihe ist teuer und nichtssagend. Ein Paradies mit Kanalbadestelle für Bohos.

Essen & Trinken: Seoul Kitchen, Eiscafé Riviera, Rheingold, Café Süßwald, Nunó

Ein Fußweg führt vom Zentrum der ehemaligen Kammgarnspinnerei direkt zum Färberturm. Er ist das älteste erhaltene Gebäude der Textilmanufakturen in Augs­burg und wird von der Bürgeraktion Textilviertel genutzt. Dem Verein ist es wesentlich anzurechnen, dass dieses Quartier heute mehr ist als nur ein Paradies für Spekulanten. 
 

3 Martini-Park 5 Min.

Nun kreuzen wir die Schäfflerbachstraße und gelangen über eine vom Büro Lab Binær gestaltete Pforte in den Martini-Park. Wenn hundert andere ehemalige Industrieviertel ihr trauriges Dasein mit dem Zusatz »Park« zu kaschieren hoffen, trägt dieser hier den Park im Namen mit vollem Recht. Eine geschickte Ansiedlungspolitik der Besitzer*innen hat hier ein lebendiges Nebeneinander von Gewerbe, Kunst und Handwerk geschaffen. Einen wichtigen Impuls für diese Entwicklung hat der Einzug des Staatstheaters vor einigen Jahren geleistet.

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Staatstheater findet sich seit Kurzem das Auktionshaus Rehm. Ein grandioser Ort, um alte und neue Dinge zu entdecken, Wertvolles und Skurriles. Etwas länger schon macht sich die Feuerwehr­erlebniswelt mit einem Mix aus Museum, Mitmachparcours und Lernort einen guten Namen. Außerdem beleben diverse Werkstätten (u.a. Thomas Laukart), Ateliers (u.a. Günther Baumann, Udo Rutschmann), Architekturbüros (u.a. Titus Bernhard), der Coworking-Space Werkraum, das Augsburg Journal und der Augsburg Reporter sowie ein BBQ-Saucen-Hersteller, eine Eis- und Schokoladenmanufaktur und eine Grillschule den Martini-Park Augsburg.

Essen & Trinken: Gut Essen im Martini-Park 1832 (eingeschränkte Öffnungszeiten) 

 

I Fabrikschloss 15 Min.

Hanreiweg © a3kultur/hel

Proviantbachquartier 15 Min. 

Über den Hanreiweg verlassen wir den Martini-Park in Richtung Proviantbach. Kurz vor dem Bach biegen wir scharf links ab und folgen dem Pfad über den Damm einer längst stillgelegten Localbahntrasse. Nach wenigen Metern finden wir uns auf der Liegewiese wieder, die sich am Proviantbach erstreckt. Über das Gelände des 1969 gegründeten AC Torres und des Türkspor Augsburg kommen wir in die Otto-Lindenmeyer-Straße und damit zum Glaspalast. Diese kurze Wegstrecke lässt in Bruchstücken erahnen, wie »Gastarbeiter*innen« aus vielen anderen Ländern ab den 1960er-Jahren das Leben dieses Quartiers geprägt haben. Die Wohnblocks im Proviantbachquartier waren meistens heruntergekommene Löcher, in denen Arbeiterfamilien der umliegenden Textilfirmen unterkamen. Das Leben spielte sich in großen Teilen auf den Straßen und Höfen ab. Nach Nationalitäten getrennte Sozialclubs, Sportvereine und Kleingartenanlagen boten Möglichkeiten, die einem das enge Zuhause versagte. Längst sind die Blocks saniert. Die Lebensqualität ist hoch. Von den Menschen, die heute hier leben, hat kaum jemand die Fabriken des Textilviertels einmal von innen gesehen.

Essen & Trinken: Tante Emma Laden & Café
 

Glaspalast © a3kultur/hel

Glaspalast 5 Min. 
siehe Beitrag »Der Glaspalast«

5 Kulturfabrik 5 Min. 

Um vom Glaspalast zur Kulturfabrik zu gelangen, muss man die Amagasaki-Allee queren. Diese vierspurige Stadtautobahn zerschneidet das Textilviertel in zwei ungleiche Teile. Eine in den 1980er-Jahren geschlagene städteplanerische Wunde, die bis heute nicht verheilt ist. Wir lassen den Atrium-Palast der Walter-Gruppe links liegen und gelangen über die Simpert- und die Walterstraße rasch zur Kulturfabrik. Neben einigen Ateliers und Werkstätten ist dieser Kulturort vor allem die Heimat des Sensemble-Theaters. Die privat geführte freie Bühne zählt zu den wichtigsten Kulturorten unserer Region.

schlachthofquartier

6 Schlachthof 5 Min. 

Über die schmale Bergmühlstraße queren wir den Proviantbach. Vor uns liegt der Augsburger Schlachthof, im späten 19. Jahrhundert auf dem Gelände des alten Floßhafens der Stadt aus roten Backsteinen erbaut. Er ist riesig. Die Stadt war immer hungrig. Heute wird im Schlachthof nicht mehr gemetzgert, sondern vor allem getrunken, gegessen und gefeiert. Die gut erhaltene architektonische Struktur ist auch ohne kulinarischen Anlass einen Besuch wert.

Essen & Trinken Schlachthof-Restaurant, Kälberhalle, Café Himmelgrün, Nachtstallung, Via del Gusto, Hasen-Bräu, Eventlocation Kultstrand

7 Haag-Villa 10 Min. 

Johannes Haag kann als Erfinder der zentralen Dampfheizung bezeichnet werden. Im zu Ehren ist die Verbindungsstraße vom Schlachthof in die Jakober Vorstadt benannt. Der Unternehmer und Fabrikant ließ am Rande seines Fabrikgeländes auf einem künstlichen Hügel eine repräsentative Fabrikantenvilla im Neorenaissancestil errichten. Heute gehört sie den Stadtwerken Augsburg, die sich schwertun, dem Haus samt Park eine gebührende Nutzung zukommen zu lassen. Von der einst versprochenen kulturellen Nutzung des Objekts ist heute nicht mehr die Rede. Zum Glück konnte sich zumindest das seit Jahren mit zwei Michelin-Sternen geadelte Restaurant August im oberen Stockwerk der Villa halten. Dieser besondere Kulturort zieht mit seiner Kochkunst ein internationales Publikum an seine wenigen, exklusiven Tische. 
 

Fünffingerlesturm © a3kultur/ah

II Kahnfahrt 30 Min.  
Bert-Brecht-Wohnhaus, Fünffingerlesturm

8 Vom Jakober- zum Vogeltor 15 Min. 

Die vorletzte Etappe unserer Exkursion folgt der Grenze zur Jakobervorstadt. Hier findet sich der Äußere Stadtgraben, der von der Jakoberwallstraße und der Vogelmauer eingefasst wird. Der Park entlang seiner Ufer ist auf angenehme Weise unspektakulär, wenn wir von der langen Röhrenrutsche auf hal­bem Weg absehen. Etwa auf dieser Höhe befindet sich das Traditionsgasthaus Kappeneck, dessen Wiedereröffnung mit Spannung erwartet wird. Kurz vor Ende der Vogelmauer, auf der sich im Frühjahr und im Herbst mit der Dult ein sehr traditionsreiches Markttreiben hinzieht, queren wir den Graben und gelangen zur City-Galerie.

9 NAK 5 Min. 

Auf dem Gelände der ehemaligen NAK steht das Cinemaxx, es bietet einen akzeptablen Fluchtpunkt aus dem Mordor City-Galerie. Im Hinterhof der Mall finden wir mit Manomama eine erfolgreiche Neugründung in Sachen Textilindustrie. Vor der City-Galerie liegt der Willy-Brandt-Platz, an dem die VHS Augsburg ihren Hauptsitz hat. Als eine der bedeutendsten Bildungseinrichtungen der Region bietet sie ein nahezu grenzenloses Kursangebot zwischen Sprachunterricht, Kochkursen und Diskussionsveranstaltungen zu bald allen wichtigen Themen, die unser Leben bestimmen.

Bevor wir über den Schwibbogenplatz unseren Rundkurs beenden, empfiehlt sich eine abschließende Stärkung im brandneuen Feuerwerk, einem Bierres­taurant der Brauerei Ustersbach, mit guter Küche und ebenso einladenden Innen- wie Außenräumen. Die gesamte Tour ist rund fünf Kilometer lang. Geht man die beiden Abstecher mit, verlängert sich der Weg um etwas mehr als einen Kilometer. Allerdings sollte man nicht nur auf den Weg achten, sondern vor allem auf die wunderbaren Kulturorte, die sich an diesem wie Perlen an einer Schnur aufreihen.

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