Kulturelles Herz der Stadt: Das Textilviertel

In diesem ehemaligen Industriegebiet schlägt das kulturelle Herz von Augsburg. Es wird Zeit, die wunderbaren Kulturorte des Quartiers zu vernetzen und über ein System von Rad- und Fußwegen erlebbarer zu machen. Von Jürgen Kannler
Das Textilviertel ist ein zentrumsnahes Quartier zwischen Altstadt und Lech. Es hat sich mit historischer Industriearchitektur, welterbewürdigen Kanallandschaften und seinen bedeutenden Kulturorten mit Theatern, Museen und Ausstellungsräumen zum kulturellen Herzen und damit Kraftzentrum von Augsburg gemausert. Eine Erkundung zu Fuß trägt dennoch abenteuerliche Züge. Die Infrastruktur des Quartiers ist entwicklungsfähig.
Seit Jahren bemängeln Bürger*innen, zu Recht, eine unzureichende Anbindung des Quartiers mit Bus und Tram. Sie klagen über fehlende Parkplätze und eine kaum wahrnehmbare Beschilderung an den Zufahrtsstraßen zu den Kulturorten. Ein Leitsystem, das die mehr als 300.000 jährlichen Besucher*innen auf die eigentlich vorhandenen Geh- und Radwege zwischen Glaspalast, Fabrikschloss, Martini- Park, ehemaliger Kammgarnspinnerei und NAK-Gelände lotsen würde, existiert (noch) nicht. Auch aus diesem Grund nehmen wir unsere Leser*innen mit auf den Weg.

Erkundungsfreudige können ihre Exkursion in der Prinzstraße starten. Sie ist über die Altstadt oder die Wallanlagen beim Roten Tor gut erreichbar. Die Buslinie 35 hält in unmittelbarer Nähe. Die Tramlinie 6 durchquert sie. Wir folgen ihren Gleisen bis zur Haltestelle Textilmuseum und gelangen von dort direkt auf das Gelände der ehemaligen Kammgarnspinnerei.
Hier finden wir, als erstes Pflichtziel unseres Spaziergangs, das tim. Gut 100.000 Besucher*innen finden jährlich den Weg ins Staatliche Textil- und Industriemuseum. Der einzigartige Sound seines Maschinenraums, der abwechslungsreiche Aufbau seiner Dauerausstellung, die Faszination seiner Sonderschauen, sein innovativer Museumsshop oder die Qualitäten des dortigen Restaurants Nunó: Es gibt viele Gründe, das tim zu besuchen, und alle sind gut. Gemeinsam mit dem neuen Stadtarchiv und dem Depot der Archäologischen Sammlung bildet das tim ein Triptychon der Kultur auf diesem historischen Industriegelände. Die Architektur wirkt reizvoll und solide. Praxen, Gewerbe, ein Hotel und etwas Gastronomie haben sich angesiedelt.
In nächster Nähe finden sich die Livemusikinstitution Provino Club, die Manufaktur Filzwerkstatt und der Projektraum Zeichenwerk. Ein Fußweg führt vom Zentrum der ehemaligen Kammgarnspinnerei direkt zum Färberturm. Er ist das älteste erhaltene Gebäude der Textilmanufakturen in Augsburg.
Essen & Trinken: Seoul Kitchen, Rheingold, Café Süßwald, Nunó
Nun kreuzen wir die Schäfflerbachstraße und gelangen über eine vom Büro Lab Binær gestaltete Pforte in den Martini-Park. Wenn hundert andere ehemalige Industrieviertel ihr trauriges Dasein mit dem Zusatz »Park« zu kaschieren hoffen, trägt dieser hier den Park im Namen mit vollem Recht. Eine geschickte Ansiedlungspolitik der Besitzer*innen hat hier ein lebendiges Nebeneinander von Gewerbe, Kunst und Handwerk geschaffen. Einen wichtigen Impuls für diese Entwicklung hat der Einzug des Staatstheaters vor einigen Jahren geleistet. In unmittelbarer Nachbarschaft findet sich seit Kurzem die Galerie Basilica. Mit diesem Projekt ging der Architekt Titus Bernhard nicht nur einer Leidenschaft nach – er schließt damit eine Lücke im Ausstellungsbetrieb der Stadt (Foto).
Im selben Gebäudekomplex bietet das Auktionshaus Rehm einen grandiosen Ort, um alte und neue Dinge zu entdecken, Wertvolles und Skurriles zu erwerben. Etwas länger schon macht sich die Feuerwehrerlebniswelt mit einem Mix aus Museum, Mitmachparcours und Lernort einen guten Namen. Außerdem beleben diverse Werkstätten (u.a. Thomas Laukart), Ateliers (u.a. Günther Baumann, Udo Rutschmann), Architekturbüros, der Coworking-Space Werkraum, das Augsburg Journal und der Augsburg Reporter sowie ein BBQ-Saucen-Hersteller, eine Eis- und Schokoladenmanufaktur und eine Grillschule den Martini-Park Augsburg.
Essen & Trinken: Gut Essen im Martini-Park 1832
Über den Hanreiweg verlassen wir den Martini-Park in Richtung Proviantbach. Folgen wir diesem geradeaus gelangen wir zum Fabrikschloss. Dort residiert unter anderem Kunstbedarf Boesner, ein magischer Anziehungspunkt für viele Kreative und solche die es werden wollen. Wir biegen jedoch, kurz vor dem Bach scharf links ab und folgen dem Pfad über den Damm einer längst stillgelegten Localbahntrasse.
Nach wenigen Metern finden wir uns auf der Liegewiese wieder, die sich am Proviantbach erstreckt. Diese gilt als längster Strand der Stadt. Über das Gelände des 1969 gegründeten Sportverein AC Torres und des Türkspor Augsburg kommen wir in die Otto-Lindenmeyer-Straße und damit zum Glaspalast.
Essen & Trinken: Tante Emma Laden & Café
Ein Zentrum für Gegenwartskunst auf rund 10.000 Quadratmetern.
Erdgeschoss
Das H2 – Zentrum für Gegenwartskunst ist eine Institution, die Teil der Kunstsammlungen und Museen Augsburg (KSMA) ist. Seit Herbst 2024 unter Leitung von Jan T. Wilms. Die hohe, lichte, rund 2.000 Quadratmeter große Halle bietet einen Raum, den sich andere Museen nur wünschen können. Dem H2 angegliedert ist die Artothek des Hauses samt einladender Museumsbibliothek.
Das H1 ist so etwas wie der nur unwesentlich kleinere Zwilling des H2. Seit etwa drei Jahren wird dieser Kulturort ebenfalls von den KSMA bespielt. Zuvor war in der Loft-ähnlichen Halle ein Satellit der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen untergebracht.
1. Etage
Die Galerie Noah gehört zu der von Ignaz Walter aufgebauten privaten Kunstetage im Glaspalast, mit Galerie und Museum. Sie ist perfekt im gut 400 Quadratmeter großen Kuppelsaal, dem ehemaligen Maschinenraum der damaligen Textilfabrik, untergebracht. Hier präsentiert Galeristin Wilma Sedelmeier jährlich sechs bis acht Programme, die nicht nur ihre Besucher*innen finden, sondern auch ihre Käufer*innen. Neben großen internationalen Namen ist in der Galerie Noah zuweilen auch Platz für hervorragende regionale Künstler*innen.
Das Museum Walter zeigt in seiner Dauerausstellung auf 6.000 Quadratmetern Malerei, Plastiken, Fotografie, Installationen und Glaskunst. Diese Privatsammlung des Ende Oktober 2023 verstorbenen Unternehmers und Kunstliebhabers Ignaz Walter ist ein Schaufenster ost- wie westdeutscher Kunst nach 1945. Seine Sammlung beherbergt neben großen Namen von internationalem Topniveau wie Gerhard Richter, Georg Baselitz, A. R. Penck, Jörg Immendorff oder Markus Lüpertz auch weniger bekannte, auch regionale Künstler*innen und einige skurrile Besonderheiten.
2. Etage
Die neue BBK-Galerie ist seit gut einem Jahr in Betrieb. Über 300 Quadratmeter erstreckt sich der Loft-Raum mit seinen hohen, weißen Wänden. Diese fordern förmlich Kunst. Diesem Anspruch wollen die gut 300 Mitglieder, mit einem vielfältigen Programm aus Einzel- und Gruppenschauen, nachkommen. Für einige Wochen im Jahr übernimmt das Kulturreferat Augsburg die Kuration in dieser attraktiven Lage.
Das Dancecenter No. 1 steht für die Förderung tänzerisch begabter Kinder und Jugendlicher. In einer positiven Atmosphäre genießen die Schüler*innen eine Ausbildung, die sich mit staatlich getragenen Ballettschulen messen kann. Das breite Kursprogramm bietet neben Ballett für Kinder und Erwachsene beispielsweise auch Unterricht für Hiphop, Modern Dance, Stepptanz, Yoga und Jazzdance. Der Glaspalast beherbergt außerdem, das, mit dem Augsburger Zukunftspreis für Klimaschutz ausgezeichnete, Makerspace Das Habitat.
Um vom Glaspalast zur Kulturfabrik zu gelangen, muss man die Amagasaki-Allee queren. Wir lassen den Atrium-Palast der Walter-Gruppe links liegen und gelangen über die Simpert- und die Walterstraße rasch zur Kulturfabrik. Neben einigen Ateliers und Werkstätten ist dieser Kulturort vor allem die Heimat des Sensemble-Theaters. Die privat geführte freie Bühne zählt zu den wichtigsten Kulturorten unserer Region.
Über die schmale Bergmühlstraße queren wir den Proviantbach. Vor uns liegt der Augsburger Schlachthof, im späten 19. Jahrhundert auf dem Gelände des alten Floßhafens der Stadt aus roten Backsteinen erbaut. Er ist riesig. Die Stadt war immer hungrig. Heute wird im Schlachthof nicht mehr gemetzgert, sondern vor allem getrunken, gegessen und gefeiert. Zum Beispiel in der sommerlichen Eventlocation Kultstrand. Die gut erhaltene architektonische Struktur ist auch ohne kulinarischen Anlass einen Besuch wert.
Essen & Trinken: Schlachthof-Restaurant, Kälberhalle, Café Himmelgrün, Nachtstallung, Via del Gusto, Hasen-Bräu, Eventlocation Kultstrand
Johannes Haag kann als Erfinder der zentralen Dampfheizung bezeichnet werden. Im zu Ehren ist die Verbindungsstraße vom Schlachthof in die Jakober Vorstadt benannt. Der Unternehmer und Fabrikant ließ am Rande seines Fabrikgeländes auf einem künstlichen Hügel eine repräsentative Fabrikantenvilla im Neorenaissancestil errichten. Heute beherbergt die Villa hält seit Jahren das mit zwei Michelin-Sternen geadelte Restaurant August. Dieser besondere Kulturort zieht mit seiner Kochkunst ein internationales Publikum an seine wenigen, exklusiven Tische.
via Jakobertor & Vogeltor
Die vorletzte Etappe unserer Exkursion folgt der Grenze zur Jakobervorstadt. Hier findet sich der Äußere Stadtgraben, der von der Jakoberwallstraße und der Vogelmauer eingefasst wird. Der Park entlang seiner Ufer ist auf angenehme Weise unspektakulär, wenn wir von der langen Röhrenrutsche auf halbem Weg absehen. Etwa auf dieser Höhe befindet sich das empfehlenswerte Traditionsgasthaus Kappeneck, seit gut einem Jahr unter neuer Führung. Kurz vor Ende der Vogelmauer, auf der sich im Frühjahr und im Herbst mit der Dult ein sehr traditionsreiches Markttreiben hinzieht, queren wir den Graben und gelangen zur City-Galerie. Auf dem Gelände der ehemaligen NAK befindet sich das Cinemaxx, in der City-Galerie. Im Hinterhof der Mall finden wir mit Manomama eine erfolgreiche Neugründung in Sachen Textilindustrie. Vor der City-Galerie liegt der Willy-Brandt-Platz, an dem die Augsburger VHS ihren Hauptsitz hat.
Bevor wir über den Schwibbogenplatz unseren Rundkurs beenden, empfiehlt sich eine abschließende Stärkung im Feuerwerk, einem Bierrestaurant der Brauerei Ustersbach, mit guter Küche und ebenso einladenden Innen- wie Außenräumen. Die gesamte Tour ist rund fünf Kilometer lang und man sollte wegen der gebotenen Zwischenstopps mindestens 3 Stunden, besser einen halben Tag dafür einplanen. Geht man die beiden Abstecher mit, verlängert sich der Weg um etwas mehr als einen Kilometer. Allerdings sollte man nicht nur auf den Weg achten, sondern vor allem auf die wunderbaren Kulturorte, die sich an diesem wie Perlen an einer Schnur aufreihen.
Essen & Trinken: Feuerwerk, Kappeneck.

Textilviertel – Das kulturelle Herz der Stadt
Nach unserem ersten Beitrag zum Thema im Dezember '23, hat die a3kultur Redaktion in den letzten Wochen einen Fuß- und Radweg durch das Textilviertel vorbereitet. Ziel ist es, allen Besucher*innen Informationen zu den Kulturorten bei einfacher Orientierung zu geben. Neben zahlreichen Kulturorten vor Ort, konnten wir das Kulturreferat und die Regio Augsburg als Partner für dieses Projekt gewinnen. Bisher wurden folgende Kulturorte erfasst – die meisten davon sind bereits Projektpartner - und in acht Teilquartieren beschrieben.
Kammgarnquartier:
Staatliches Textil- und Industriemuseum (tim)
Stadtarchiv
Depot der Archäologischen Sammlung
Provinoclub
Zeichenwerk
Martini Park:
Galerie Basilica
Auktionshaus Rehm
Feuerwehr Erlebniswelt
Interimsspielstätte des Staatstheaters
Glaspalast:
Museum Walter
Galerie Noah
H1 + H2 Zentrum für Gegenwartskunst
BBK-Galerie
Habitat
Dancecenter No1
Kulturfabrik:
Sensemble Theater
Schlachthofquartier:
Kultstrand
Haag Villa:
Restaurant August
NAK-Gelände:
VHS- Augsburg
Cinemaxx
Fabrikschloss:
Boesner
Bis Ostern wollen wir ein erlebbares Netz zwischen diesen Orten freilegen. Niederschwellige Positionsmarkierungen zeigen dann die Entfernungen zu den weiteren Zielen und den dafür einzuschlagenden Richtungen an. Diesem einfachen, analogen Netzwerk stellen wir ein simples System aus QR Codes zur Seite, das jederzeit erweitert werden kann. Mit dessen Hilfe können die Erkunderinnen rasch ihren Aufenthaltsort bestimmen, sich einen Überblick über das gesamte Textilviertel verschaffen, oder davon aus gezielt eine Webseite unserer Partnerinnen ansteuern.
Ergänzend dazu, verweisen wir auf den Hörpfad Textilviertel der Regio Augsburg. Dieser erläutert die Industriegeschichte des Quartiers.