»Theaterleute und Techniknerds brennen für ihre Sache«

Nicht erst seit Corona macht das Staatstheater Augsburg unter dem Stichwort Digitalsparte von sich reden. Eigens für die virtuelle Realität geschaffene Inszenierungen in 360-Grad-Perspektive bilden das stetig wachsende digitale Repertoire des Hauses. Mit Glucks Barockoper »Orfeo ed Euridice« wird zur Eröffnung der Saison 2020/21 erstmals eine Bühneninszenierung um eine virtuelle Dimension erweitert, wenn die Zuschauer*innen mittels VR-Brille in die Unterwelt eintauchen. Die Premiere ist für Samstag, den 10. Oktober geplant. Regie führt Intendant André Bücker.
Als erstes Theater im deutschsprachigen Raum hat das Staatstheater Augsburg nun eine Planstelle »Projektleitung für Digitale Entwicklung«. Tina Lorenz, sowohl am Theater als auch im Digitalen zu Hause, wird das Team um André Bücker ab dieser Spielzeit als Projektleiterin in diesem Bereich unterstützen. Jürgen Kannler traf sich noch vor der Sommerpause zu einem ersten Gespräch mit Tina Lorenz.
Nachzuhören als Podcast auf www.what-goes-on.de und in Auszügen hier zu lesen.
Die gebürtige Berlinerin Tina Lorenz wurde um die Jahrtausendwende im Chaos Computer Club erwachsen, studierte dann aber Theaterwissenschaft und Amerikanische Literaturgeschichte in Wien und München. Sie war Dozentin für Theatergeschichte an der Akademie für Darstellende Kunst Bayern, später Dramaturgin am Landestheater Oberpfalz und schließlich Referentin für digitale Kommunikation am Staatstheater Nürnberg.
Sie war als Piratin im Regensburger Stadtrat, ist Gründungsmitglied der Hackspaces metalab Vienna und Binary Kitchen Regensburg und sitzt in der Auswahlkommission der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalität. Seit 2012 publiziert und spricht sie zum Thema des digitalen Theaters, unter anderem auf der re:publica Berlin, auf nachtkritik.de und bei der Heinrich-Böll-Stiftung. 2020 übernahm sie die Stelle der Projektleiterin für Digitale Entwicklung am Staatstheater Augsburg.
»Nach dem großen Erfolg unserer digitalen Experimente im Bereich Virtual Reality wollen wir den nächsten Schritt machen und die neuen, kreativen Möglichkeiten erschließen, die uns der digitale Raum bietet. Ich freue mich sehr, dass wir die strukturelle Weiterentwicklung der Digitalsparte nun mit Tina Lorenz vorantreiben können«, so Staatsintendant André Bücker.
a3kultur: Willkommen in Augsburg!
Tina Lorenz: Vielen Dank.
Wie gefällt Ihnen unsere kleine Fuggerstadt?
Was ich bisher kenne, recht gut. Ich freue mich wahnsinnig auf meine Aufgaben hier. Besonders auch auf die Zusammenarbeit mit für mich neuen Leuten. In Augsburg gibt es eine für mich interessante Szene mit Medienkünstler*innen und einer Hochschule mit einem guten Ausbildungsangebot für angehende Digitalkünstler*innen.
Was meinen Sie, was kann ein Staatstheater vom Chaos Computer Club lernen?
Ich glaube, sehr viel. Grundsätzlich verbindet Theaterleute und Techniknerds ein entscheidender Punkt: Sie brennen für ihre Sache. Ein Staatstheater ist jedoch hierarchisch organisiert. Kunst ist im besten Fall aber wild und anarchisch. Diese Pole zusammenzubringen, schaffen Theater ganz gut. Die Hackerszene funktioniert ganz anders. Machtstrukturen werden prinzipiell hinterfragt. Die Projekte funktionieren aus der Open Source. Wissen wird geteilt. Man ist also nicht darauf bedacht, dass einem Dinge gehören. Nun eine Ebene zu finden, wie beides ins Gespräch finden kann, finde ich sehr spannend.
Warum kam es gerade in Augsburg zur ersten Stelle für Digitale Entwicklung an einem deutschsprachigen Theater?
Die Kolleg*innen hier hatten das Thema tatsächlich schon seit einiger Zeit auf dem Schirm. Der erste Premierentermin für »Orfeo ed Euridice« war für diesen Mai geplant, musste aber verschoben werden. Trotzdem wurden durch Corona die Projekte dann aber beschleunigt. Aus den Spielereien und Versuchen wurden die ersten kleineren Produktionen, die von allen Seiten sehr gut aufgenommen wurden. Das Staatstheater Augsburg nimmt bei dem Thema eine überregional viel beachtete Vorreiterrolle ein – auch wenn nun langsam Bewegung in die Szene kommt und sich auch andere Häuser verstärkt mit dem Thema beschäftigen.
Wie reagiert das Publikum auf diese Experimente?
Zum Teil mit großem Interesse, zum Teil aber auch etwas verhalten, vorsichtig. Man hat aber schnell erkannt, dass man mit Virtual Reality und Augmented Reality durchaus Leute erreichen kann, die für Theater sonst kaum zugänglich waren. Aber eben nicht nur. Es ist auch eine sehr spannende Sache für das Stammpublikum und natürlich auch für die Theatermacher*innen, auch wenn sie bisher noch keine oder kaum Filmerfahrung vorweisen konnten. Diese Techniken bieten sich für Theater an. Hier weiterzuexperimentieren ist wirklich spannend.
Wie darf man sich Ihre Stelle als Projektleiterin für Digitale Entwicklung vorstellen, haben Sie ein Team?
Ich arbeite erst einmal aus meinem Einfraubüro heraus, bin dabei aber nicht allein. VR-Projekte sind in der Regel spartenübergreifend angelegt. So habe ich die Möglichkeit, mit den unterschiedlichsten Künstler*innen zusammenzuarbeiten. Dazu kommen Kooperationen mit externen Medienkünstler*innen.
Die Ergebnisse des coronabedingten »Digitalisierungssprungs« in der Kultur wirkten in Teilen recht bemüht – wie hoch ist der Druck auf Macher*innen, digital mit dabei zu sein?
Ich würde die Ergebnisse weniger als bemüht bezeichnen, sondern eher in gewisser Weise als unbeholfen. Theater wurde lange als die letzte Bastion des Analogen verteidigt. Es zählte die Aura des Originals, das Erlebnis körperlicher Präsenz. Man wollte nicht das Risiko eingehen, diese Einzigartigkeit durch Digitales zu gefährden. So war es lange kein Thema, dass man mit neuen technischen Möglichkeiten Theater auch erweitern und bereichern kann.
Die Zeit mit Corona hat da sehr viel in Gang gesetzt. Oft von null an. Das war sehr lehrreich. Andere Kulturorte wie Museen sind da oft viel weiter als die Theater. Die haben zum Teil zwanzig Jahre Erfahrung mit digitaler Kulturvermittlung. Man muss die Kommunikationsmechanismen im Netz erst einmal kennen, bevor man sie bedienen oder bespielen kann. Das Internet ist kein leerer Raum. Er ist schon besetzt. Es gilt ihn zu erobern und neue Formate zu schaffen.
Das Staatstheater transformiert seit Monaten Schauspiel und Ballett, ab Herbst auch Musiktheater in digitale Formate – wo sehen Sie Ihre Ansatzpunkte?
Tatsächlich überall. Nur an eine Sparte anzudocken wäre doch schade. Wir denken jetzt schon an das Zusammenspiel beim Ballett, Musiktheater und Schauspiel. So muss das sein.