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Ein Auto erzählt Geschichte

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a3kultur-Redaktion

Kahn & Arnold: Aufstieg, Verfolgung und Emigration zweier Augsburger Unternehmerfamilien im 20. Jahrhundert

Die Geschichte der Augsburger Unternehmerfamilien Kahn und Arnold zwischen Aufstieg, Verfolgung und Raub bis hin zur Emigration und Ermordung wird noch bis Ende 2018 in einer Kabinettausstellung des Textil- und Industriemuseums Augsburg (tim) vorgestellt. Auch wenn die Wunden bei den Nachkommen bis heute tief sind, symbolisieren beide Namen ein fast vergessenes Kapitel Stadtgeschichte. Enteignungen fanden während des Nationalsozialismus im ganzen Land statt – das tim greift diese Dimension beispielhaft in einer Hörstation in der Ausstellung »Kahn & Arnold« auf. Hier wird in rund 20 Minuten ein komplexer Entschädigungsantrag mit Zeug*innen-Berichten, Briefen und zahlreichen Aussagen nachskizziert.

Im Juli 1938 erwarb Benno Arnold, Miteigentümer der »Spinnerei und Weberei am Sparrenlech Kahn & Arnold« in der zweiten Generation, für ca. 10.000 RM eine Limousine der Marke »Horch«. Dieser Luxuswagen repräsentierte den Einfluss des erfolgreichen Unternehmers in der schwäbischen Stadt und ist heute wohl mit dem Wert eines Mercedes-Maybach vergleichbar. Als sich die Stimmung gegen jüdische Mitbürger*innen drastisch verschlechterte und sich in der Reichspogromnacht am 9. November radikalisierte, wurden unter anderem Gesetze erlassen, die Jüdinnen und Juden den Besitz und das Fahren von Fahrzeugen verboten. Arnold hatte sich erst vier Monate vorher den »Horch« gekauft. Jetzt zwang ihn die Geheime Staatspolizei zum »Verkauf«. Der Luxuswagen sollte für eine symbolische Summe von ca. 800 bis 1.000 RM seinen Besitzer wechseln, doch der Textilunternehmer sah nie einen Pfennig davon. Auf diese Weise wurde auch ein Wagen der Familie Kahn enteignet. Solche Fälle der Beschlagnahmung bzw. Zwangsenteignung waren keine Seltenheit.

Nachkriegszeit: Eine Nachfahrin wohnte während der Übernahme von Arnolds Wagen in der Frölichstraße. Dort lebte auch Friedrich Wilhelm Starck, von 1936 bis 1945 Polizeidirektor bzw. -präsident in Augsburg. Ihn sah sie mehrmals mit dem »Horch«. Starck konnte nach dem Krieg einige Zeugen aus den ehemaligen eigenen Reihen akquirieren, die zwar mit fadenscheinigen Argumenten, aber dennoch für ihn aussagten. Die Limousine verschwand zeitgleich und ist seither unauffindbar – ein Weiterverkauf? Ein Weitertransport an die Zentrale in Berlin? …

Ein Urteil zugunsten des jüdischen Unternehmers blieb aus. Sollte der Fall jemals geklärt werden, legte die Wiedergutmachung fest, dass eine Entschädigungssumme von 10.000 DM entrichtet werden müsste. In vielerlei Hinsicht zeigt dieses Beispiel die Tragik der Geschichte: Während der deutschen Wiedergutmachungspolitik nach der Katastrophe endete die Forderung nach Gerechtigkeit in mühsamen Verhandlungen, rechtlichen Ringkämpfen und oft der Ohnmacht der Betroffenen. So haben wahrscheinlich auch die Familien Kahn und Arnold die Wiedergutmachung der enteigneten »Spinnerei und Weberei« als Hohn empfunden. Sie ließen sich auf juristische Vergleiche ein, die von den beiden »Ariseuren« arrangiert wurden, die vorher die Zwangsenteignung des Unternehmens in die Wege geleitet hatten. Die maßlosen Bereicherungen wurden von der Stadt Augsburg als Nutznießer durchgeführt – anschließend verdrängt, vergessen. 

In Augsburg erinnert kaum etwas an die Industriedynastien, nachdem die alten Fabrikanlagen der »Spinnerei und Weberei am Sparrenlech« sowie der »Neuen Augsburger Kattunfabrik« weitestgehend abgebrochen wurden. Die Geschichte der Familien ist jedoch noch nicht zu Ende: Wiederhall findet ihr Andenken – anzusehen sowie nachzuhören – im Textil- und Industriemuseum Augsburg, in einem Ausstellungskatalog, im Theater »Der zerbrochene Kelch«, in der Holocaust-Gedenkstätte des Augsburger Rathauses, nicht zuletzt in den Erinnerungen der über den Erdball verstreuten Opferangehörigen an das florierende Familienunternehmen. Mancherorts in der schwäbischen Stadt stolpert man bisher über die Namen unvergessener Jüdinnen und Juden sowie weiterer Opfer des nationalsozialistischen Regimes, vielleicht reihen sich bald auch die Namen Kahn und Arnold unter die »Stolpersteine« oder »Erinnerungsbänder«. 

www.timbayern.de

 

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