Standpauke statt Laudatio

Bei der Verleihung des Augsburger Zukunftspreises 2021 nahm sich OB Weber die Gewinner*innen vom Augsburger Klimacamp zur Brust. Ein Kommentar von Jürgen Kannler
Die Stadt Augsburg hat sich vorgenommen in absehbarer Zeit die klimafreundlichste Kommune Bayerns zu werden. Auf dem Weg zu diesem Ziel trifft viel bürgerschaftliches Engagement auf innovative Unternehmenskonzepte und Forschungsprojekte auf Verwaltung und Politik. Zwanzig Zukunftsleitlinien, destilliert aus den Bereichen Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur geben dem Streben der Einzelnen so etwas wie eine Klammer. In diversen Agendaforen organisieren sich Projektmacher*innen und die Mitglieder des Nachhaltigkeitsbeirats stehen dem Stadtrat beratend zur Seite. Eine zentrale Rolle in diesen Prozessen nimmt das städtische Büro für Nachhaltigkeit ein. Es unterstützt und leitet die in Teilen ehrenamtliche Arbeit der Gremien und versucht den Zukunftsleitlinien in Politik und Verwaltung Substanz und Öffentlichkeit zu geben. In dieser hybriden Rolle aus Macher*in und Vermittler*in stößt das Büro zuweilen an seine Grenzen. Die Reibungspunkte zwischen den Vorgaben der Dienstherrin Stadt und den Vorstellungen der Nachhaltigkeitsaktivist*innen klaffen – zuweilen massiv - auseinander.
Bei der Verleihung des Augsburger Zukunftspreises 2021 im goldenen Saal des Rathauses kam es nun zum Eklat. OB Eva Weber (CSU) übernahm handstreichartig von ihrem Regierungskollegen Peter Rauscher (Bündnis 90/Die Grünen) die Aufgabe eine Laudatio auf die Gewinner*innen von einem der sechs Zukunftspreise zu sprechen. Im besagten Fall ging es um die Ehrung des Augsburger Klimacamps, zu dem die CSU Politikerin seit langen ein zumindest gespanntes Verhältnis pflegt. Statt, wie es von einer Laudatio zu erwarten wäre »Im Rahmen einer feierlichen Rede, jemandes Leistungen und Verdienste zu würdigen« (Wikipedia), nahm sich Eva Weber die vier zur Preisverleihung erschienenen Jugendlichen erst einmal ordentlich zur Brust und rechnete in ihrer Standpauke mit den Preisträger*innen ab.
(Die Rede der Oberbürgermeisterin finden Sie unter diesem Beitrag)Souverän zeigten sich hingegen die Klimaaktivist*innen. Auf die Einladung der OB zur gemeinsamen Arbeit bei der für Dezember geplanten Blue City Klimakonferenz der Stadt, sprachen sie vor Ort noch eine sofortige Gegeneinladung aus. Denn bei der Verfolgung der Klimaziele wird die Zeit knapp. Warum also ein halbes Jahr verstreichen lassen, um mit der Arbeit zu beginnen.
Zahlreiche Besucher*innen des Festakts verurteilten beim anschließenden Empfang die Angriffe Webers. Hat sie doch als OB genügend andere Foren, um sich Öffentlichkeit zu verschaffen. Ihr Beitrag wurde als übergriffig gewertet. Er beschädigt die Bedeutung des Zukunftspreises, mit dem sich die Stadt zuweilen gerne schmückt. Diese Standpauke steht symbolhaft für die Reibungspunkte in der Zusammenarbeit von engagierten Bürger*innen und der Politik.
Dass Rauscher, sein von der Zukunftspreisjury – der er selbst angehörte – übertragenes Rederecht an OB Weber abzugeben habe, wurde dem Grünenpolitiker wenige Tage vor der Veranstaltung mitgeteilt, ließ er nach der Rede wissen. Warum er sich bei diesem brisanten Thema nicht behauptet hat, bleibt vorerst sein Geheimnis. Seine Laudatio, um die zu halten er sich in der Jury bemüht hatte und die ihm diese Verantwortung übertrug, lag zu dem Zeitpunkt bereits seit einem halben Jahr vor. Es wäre interessant zu erfahren, in welchen Punkten sie sich vom Beitrag Eva Webers unterscheidet.
Alle mit dem Augsburger Zukunftspreis 2021ausgezeichneten Projekte:
Alte Schmiede zu Augsburg. Ein Labor für experimentelle Bauforschung
Augsburger Klimacamp
Bio kann jeder lernen: Gesunde und nachhaltige Ernährung in der KiTa
H2O TV, die multikulturelle Film AG des Jugendhaus Oberhausen
Nusszopf – Netzwerk für gemeinsame Ideen und Projekte
Wirtschaftsunternehmen: Nero Bio-Grillkohle – Weltweit einzige Grillkohle mit Bio-Zertifizierung
Für den Zukunftspreis 2022 können noch bis zum 31. Mai Bewerbungen eingereicht werden.
Foto: Im Rathaus der Stadt Augsburg wurde der Zukunftspreis 2021 verliehen. Auf dem Bild zu sehen sind die Gewinner*innen gemeinsam mit OB Weber (Fünfte von links) und Reiner Erben, Referent für Nachhaltigkei, Umwelt, Klima und Gesundheit (Vierter von rechts).
OB Eva Weber – Rede Goldener Saal – Preisverleihung Augsburger Zukunftspreis 2021 – 16. Mai 22
Eine Idee ist nur dann eine gute Idee, wenn wir aus ihr auch eine Handlung machen. Das ist mühsam, das erfordert harte Arbeit. Dann wird aus einer Idee ein Erfolg. Denn gute Ideen waren zwar immer schon da. Sie waren immer schon die Wurzel guten, auch politischen Handelns. Sie waren aber auch schon Ursprung von nachhaltigen Konflikten, von Spaltung und Dissens. Erfolgreiches Handeln benötigt heute radikale Kompromisse. Es gibt nicht mehr schwarz/weiß, oben/unten. Die echte Welt ist unaufgeräumt – das war sie schon immer, nur wird uns das heute bewusster denn je. Der Augsburger Zukunftspreis, der heute verliehen wird, ehrt solche guten Ideen.
Horst Thieme hat ja bereits erwähnt, dass wir etwas von der üblichen Choreographie der Preisverleihung abweichen. Normalerweise würde an dieser Stelle Peter Rauscher stehen. Danke, dass du mir das Podium überlässt. Aber: Die Laudatio für den ersten Jurypreis halte ich heute ganz bewusst persönlich. Der Zukunftspreis der Stadt Augsburg und damit 1.000 Euro Preisgeld gehen – an das Klimacamp Augsburg. Herzlichen Glückwunsch. Sie gewinnen heute den Zukunftspreis. Und mir ist es sehr wichtig, dass ich Ihnen diesen Preis persönlich übergebe.
Ich möchte meiner Gratulation einige ehrliche Worte hinzufügen. Denn es gab in den vergangenen Wochen und Monaten viele harte Worte und konfrontative Kommunikation, auch konfrontatives Handeln. Von beiden Seiten. Klimaschutz ist DAS Thema unserer Zeit. In Augsburg haben wir das große Glück, dass sich viele Engagierte und Initiativen seit Jahrzehnten diesem Thema angenommen haben. Doch Klimaschutz ist keine bloße Haltung, erst recht keine Ideologie – er ist eine knallharte Aufgabe, die viel Arbeit und Gestaltung erfordert – von uns allen. Ich möchte den heutigen Tag deshalb nutzen, um einen Schritt auf Sie zuzugehen. Es geht um nichts anderes als die Zukunft unserer Welt, wie wir sie kennen.
Und hier liegt schon ein wenig die Krux. Wer den Status Quo erhalten will, muss alte Überzeugungen hinter sich lassen. Die Stadt der Zukunft ist eine Stadt der Chancen. Der Chancen für alle. Und für alle bin ich die Oberbürgermeisterin. Ich verhandle zwischen denen, die Auto fahren wollen oder müssen und denen, die das Auto ablehnen. Plumpes Verbieten ist nicht die Politik von heute. Politik von heute ist eine Management-Aufgabe. Und das bedeutet: Wir sollten uns ins Ermöglichen verlieben und nicht ins Verhindern. Was meine ich?
Ja, ich lehne beispielsweise eine Ihrer Forderungen nach einem kostenlosen ÖPNV ab. Unbequeme Antwort: Er ist nicht finanzierbar. Stand heute. Das ist die ehrliche Antwort. Und hier sind wir: Im Raum der Wirklichkeit. Denn meine Aufgabe als Oberbürgermeisterin und als Managerin dieser Stadt ist es – und das wird Sie vom Klimacamp nicht freuen - beim Klimaschutz über den Klimaschutz hinaus zu denken. Im Raum der Wirklichkeit geht es auch um die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte einer Stadt.
Denn diese Stadt steht wie ein Stuhl nur gesund auf diesen drei Beinen. Ökologie. Soziales. Und Ökonomie. Verbunden durch die kulturelle Dimension, die Bewusstsein, Werte, Vielfalt und Beteiligung beinhaltet. Und ja, ich verstehe, dass Sie aus Ihrer Position radikal nur ein Bein dieses Stuhls im Blick haben. Ich muss alle drei beachten, sonst kippt der Stuhl und damit unsere Stadtgesellschaft. Also, um den Klimaschutz in Augsburg voranzutreiben, müssen wir radikale Kompromisse schmieden – nur so kommen wir raus aus der Blockade – raus aus der Verhinderung.
Blue City Augsburg ist mein radikaler Kompromiss für nicht-radikalen Klimaschutz. Dabei geht es darum, die Themen Klima, Ressourcen, Technologie, Infrastruktur und Energie zu vernetzen. Es geht darum, dass wir die Klimakrise nicht losgelöst von anderen aktuellen Herausforderungen betrachten können. Und es geht darum, dieses Bewusstsein bei den Augsburgerinnen und Augsburgern zu verankern. Blue City steht für eine klimafreundliche Metropole, in der der nachhaltige Umgang mit und die Nutzung von Energie und Ressourcen unser Wohlergehen, unser Zusammenleben und unser Wirtschaften sichert.
Und verstehen Sie mich nicht falsch - ich sehe Ihre Rolle, die sich nicht innerhalb des Systems bewegt. Auch wenn ich sie persönlich nicht gutheiße. Ihre Rolle in einem System, in dem wir oft mühsam detailreiche Arbeit machen müssen, die nach außen schwer verständlich ist. Ich sehe Ihre Vorhaltung, wir, die Politik, hätten nicht alles getan, was in unserer Macht stünde. Aber es geht nicht um Machtausübung. Es geht darum, zu machen, was möglich ist. Ich akzeptiere, dass Sie keine Kompromisse machen. Kompromisse sind meine Aufgabe.
Was ich aber – und das sage ich in aller für Sie vielleicht schmerzhaften Offenheit – nicht akzeptieren kann und will: Dass Sie für sich in Anspruch nehmen, Lösungen für ein Problem zu kennen, sich aber weigern, sich ganz konkret dort einzubringen, wo diese Lösungen gebraucht, Entscheidungen getroffen und Weichen gestellt werden. Wir brauchen durchaus radikale Ideen, die den Finger in die Wunde legen und als Impulsgeber fungieren. Aber dann müssen wir auch an den Ideen arbeiten dürfen.
Ich lade Sie deshalb ein, mutig zu sein.
Sie werden nun sagen: Wir sind mutig! Wir seilen uns von hohen Gebäuden ab, um unsere Botschaften zu vermitteln. Wir harren bei Minusgraden im Camp aus. Das aber zeugt nicht von Mut. Denn Mut braucht, um mit Erich Kästner zu sprechen, nicht die Faust allein, sondern den Kopf dazu. Sich abzuseilen: das ist wagemutig. Im Camp auszuharren: das zeugt von Durchhaltevermögen.
Aber wissen Sie, was am mutigsten wäre?
Mutig wäre, mit mir gemeinsam in den Raum der Wirklichkeit zu gehen. Sich den Zu-Mut-ungen politischer und gesellschaftlicher Realitäten zu stellen. Vielleicht wird das nicht passieren. Vielleicht werden Sie diesen Teil des Preises ablehnen. Vielleicht werden Sie alles verneinen und konterkarieren, was ich heute gesagt habe. Gleichzeitig wiederhole ich mich: Das führt nur zu Verwerfung und Konflikt und zur Verharrung im Stillstand.
Ich lade Sie ein, gestalten Sie mit mir die Zukunft. Verhandeln wir. Gehen wir gemeinsam für das große Ganze. Und das im Raum der Wirklichkeit unserer Stadt.
Ich mache es ganz konkret: Ich lade Sie hiermit offiziell ein, liebe Aktivistinnen und Aktivisten des Klimacamps, mit mir an einem gemeinsamen Tisch Platz zu nehmen:
• Ich mache einen direkten Abgleich zwischen den fünf Forderungen des Klimacamps und dem, was aktuell Realität ist.
• Sie stellen uns Ihren Plan vor, wie Sie diese radikalen Forderungen umsetzen würden.
• Ich übersetze diese Vorschläge in Lebensrealitäten und ins Machbare.
• Und dann steigen wir gemeinsam in den Ring und fechten radikale Kompromisse aus: Auf der Blue City Klimakonferenz im Dezember diesen Jahres. Und zwar live, persönlich, Face-to-Face. Mein Ziel ist klar: Augsburg soll zur klimafreundlichsten Metropole Bayerns werden. Dieses Ziel mit aller Kraft zu verfolgen, ist mein Wunsch und mein Angebot.
Tausend Euro. Und der Zukunftspreis der Stadt Augsburg. Aber vor allem meine Einladung an Sie: Verlassen wir die Parolen, kommen wir gemeinsam bis ins Kleingedruckte. Kommen wir gemeinsam ins Machen. Augsburg wird die klimafreundlichste Metropole Bayerns. Und am liebsten gemeinsam mit Ihnen. Herzlichen Glückwunsch zum Zukunftspreis der Stadt Augsburg!