Trikot statt Uniform
Erinnerungskultur im Polizeisportverein Augsburg. Ein Interview mit Hans Wengenmeir von Malte Günther
Sport verbindet Menschen über kulturelle, soziale und nationale Grenzen hinweg. In Sportvereinen entsteht ein einzigartiges Gemeinschaftsgefühl, das Integration fördert und Brücken zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen schlägt. Dieses Zusammenspiel von Sport, Gemeinschaft und Integration bildet einen fruchtbaren Boden für die Pflege einer lebendigen Erinnerungskultur.
Ein bemerkenswertes Beispiel für diese Verbindung ist der Polizeisportverein (PSV) Augsburg. Gegründet im Jahr 1937, zu einer Zeit, als die Polizei unter nationalsozialistischer Kontrolle stand und möglicherweise auch NS-Kader in den Reihen des Vereins aktiv waren, hat der PSV eine bewegte Geschichte, die eng mit den Entwicklungen in Deutschland verwoben ist. Trotz dieser belasteten Vergangenheit – oder vielleicht gerade deswegen – steht der PSV Augsburg heute für Vielfalt, Integration und ein offenes Miteinander. Diese Werte reichen weit über den sportlichen Aspekt hinaus und stellen einen bewussten Bruch mit der Vergangenheit dar. Um mehr über die Rolle des PSV Augsburg in der Erinnerungskultur zu erfahren, traf ich mich im Vereinsheim des PSV mit Hans Wengenmeir.
Wengenmeir, ehemaliger Kriminalhauptkommissar in Augsburg, ist seit 2017 Erster Vorsitzender des PSV, Mitglied im Sportbeirat der Stadt Augsburg und politisch engagiert. Seine Einblicke offenbaren, wie ein Sportverein aktiv zur Gestaltung der Erinnerungskultur beitragen kann.
a3kultur: Der Name »Polizeisportverein Augsburg« lässt viele möglicherweise falsche Schlüsse zu. Muss ich beispielsweise Polizist*in sein, um beitreten zu können?
Hans Wengenmeir: Nein, wir haben aktuell nur zwischen 5 und 10 % Polizeikollegen. Wir haben rund 800 Mitglieder im Verein, die Hälfte sind Kinder und Jugendliche, die logischerweise nichts mit der Polizei zu tun haben. Dazu haben wir ungefähr 50 % Mitglieder mit Migrationshintergrund, was nicht selbstverständlich ist bei dem Namen. Das ist das Interessante an dem Thema: Dass im Besonderen der Name »Polizei« sowieso exotisch ist in der ganzen Szene, hat zur Folge, dass natürlich pauschale Geschichten immer wieder mal aufpoppen, aber die muss man akzeptieren oder beiseiteschieben. Wenn beim Fußball Eltern reinrufen »Hau den Bullen auf die Socken!«, brauchen wir über den Intellekt nicht mehr zu sprechen.
Wie bereits angesprochen, weckt der Name »Polizeisportverein« viele Vorurteile. Wie kann da ein Zusammenhang zur Erinnerungskultur gezogen werden?
Wo kommt denn der Ausdruck »Die Polizei, dein Freund und Helfer« her? Der kam aus einer Grundsatzlehre von Heinrich Himmler im Dritten Reich. Jemand, der sich historisch damit auseinandersetzt, lehnt die Begrifflichkeit ab – ich zum Beispiel. Man kann Erinnerungskultur nicht auf bestimmte Aspekte reduzieren. Aktuell werden wieder Erinnerungssteine in Augsburg »gepflanzt«. Das ist wichtig, aber man sollte es nicht auf optische Dinge reduzieren.
Der PSV wurde 1937 gegründet. Allerdings war es schwer, bei der Recherche mehr über die Historie zu erfahren. Ist da etwas dokumentiert, oder können Sie mehr darüber erzählen?
Nein, dokumentiert ist aus dieser Zeit nichts. Der Zweite Weltkrieg brachte es mit sich, dass ein Großteil der Vereinsunterlagen verlorenging. Dass die SS als vermeintliches Sicherheitsorgan die Polizei vereinnahmt hat, ist kein Geheimnis. Fakt ist, dass der Polizeisportverein von Kollegen gegründet wurde, sprich: schon mit der Idee, das Verhältnis zur Bevölkerung zu pflegen. Auch nach der Wiedergründung war das Ziel des Vereins, dass Polizeibeamte und Privatpersonen gemeinsam Sport treiben – als Bindeglied zwischen Bevölkerung und Polizei.
Wie agiert der PSV, um Erinnerungskultur zu fördern? Gab es beim PSV besondere Veranstaltungen oder Ansätze?
In der Hauptsache ist es das gelebte Vereinsleben. Wir haben vor über 40 Jahren schon Fußballturniere ausgerichtet, ausschließlich für die sogenannten Gastarbeiter. Es hieß formell das »Fußballturnier für Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland«, und da haben 10 bis 12 verschiedene Nationen teilgenommen. Da waren auf dem Fußballplatz mal eben 2.000 bis 3.000 Zuschauer, ganze Familien. Es war fast wie eine Europameisterschaft, mit Hymnen und allem Drum und Dran. Wir haben damals schon den Integrationsgedanken gepflegt, obwohl der Begriff »Integration« noch gar nicht im allgemeinen Sprachgebrauch war.
Der Verein setzt also auf Integration als wichtigen Teil der Erinnerungskultur. Gibt es aktuelle Ansätze, um das Thema Integration zu fördern?
Wir sind ein Stützpunktverein für Integration im Sport, vom Deutschen Olympischen Sportbund. Einer von fünf oder sechs Vereinen in Augsburg, um dem Klischee entgegenzuwirken, die Polizei sei rechts. Außerdem sind wir immer wieder Veranstalter von Lehrgängen in diesem Bereich für andere Vereine, die nicht die Historie oder Erfahrung haben. Ein Sportverband ist froh, wenn er einen Partner hat, der solche Dinge erzählen kann.
Das gemeinsame Vereinsleben haben Sie bereits hervorgehoben. Kommt es da zu Kontroversen durch die Diversität?
Was interessant ist, wenn man einen kleinen politischen Drift machen möchte: Bei uns trainieren sechs oder acht ehemalige GUS-Migranten im Boxen. Es gab noch nie Probleme seit dem Ukraine-Konflikt. Sie diskutieren natürlich, aber es gibt keine Konflikte, weder körperlich noch sonst. Und das ist ja das Interessante am Sport: Das eine ist Politik, und das andere ist Sport. Und da zählt die Leistung im Sport, das andere ist eine andere Baustelle.
Der PSV Augsburg demonstriert, wie Sportvereine aktiv zur Erinnerungskultur und Integration beitragen können. Durch das gelebte Vereinsleben, nicht durch plakative Gesten, schafft der PSV einen Raum, in dem Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenkommen. Trotz des historisch belasteten Namens gelingt es dem Verein, Vorurteile abzubauen und ein Ort des interkulturellen Austauschs zu sein. Die Erfahrungen des PSV zeigen, dass Sport ein wirksames Mittel sein kann, um gesellschaftliche Brücken zu bauen und eine lebendige, praxisnahe Erinnerungskultur zu pflegen.
Hans Wengenmeir
Ehemaliger Kriminalhauptkommissar in Augsburg, seit 2017 1. Vorsitzender des PSV, Mitglied im Sportbeirat der Stadt Augsburg und politisch engagiert.
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