An der augenfälligen Rückwand des Galerieraums sehen wir: nichts. Leerstelle. Sebastian Bühler rückt den Boden des Projektraums in den Fokus, indem er diesen mit der Fotografie eines in die Jahre gekommenen Parkdecks bedeckt.
Was hat das mit mir zu tun?
Erinnerungsarbeit zur NS-Zeit im Stadtmuseum Kaufbeuren. Ein Gastbeitrag von Petra Weber
Das Stadtmuseum Kaufbeuren versteht sich als kultureller Begegnungsort für die Stadtgesellschaft. Mit unserer Arbeit wollen wir nicht in der Vergangenheit stehen bleiben. Insbesondere die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bildet seit einigen Jahren einen wiederkehrenden Themenschwerpunkt, und das ist nicht zufällig: In den letzten Jahren ist es offenkundig geworden, dass rechtes Denken in Deutschland breitere Zustimmung erfährt. Die Aktualität der Erinnerungsarbeit zum Nationalsozialismus liegt auf der Hand.
Nach über zehnjähriger Schließzeit wurde das neu konzipierte Stadtmuseum Kaufbeuren 2013 im sanierten und erweiterten Gebäude wiedereröffnet. Eine relativ kleine Abteilung der Dauerausstellung (ca. 40 m²) widmet sich der jüngeren Vergangenheit, was auf die geringen Bestände zu dieser Zeit in der Sammlung zurückzuführen ist. Bereits kurz nach der Eröffnung rief dieser Ausstellungsbereich kritische Stimmen hervor. Vor allem wurde bemängelt, dass die ausgestellten Objekte und Inhalte zu wenig konkret die Zeit des Nationalsozialismus in der Kleinstadt Kaufbeuren schildern.
Das Museum stellte sich der Kritik öffentlich und stieß einen mehrjährigen Prozess an. Nach einer Podiumsdiskussion mit Experten und einem im Anschluss in Auftrag gegebenen Gutachten einer Zeithistorikerin entschied sich das Stadtmuseum – beauftragt durch den Kulturausschuss der Stadt Kaufbeuren – zunächst eine Sonderausstellung über die NS-Zeit in Kaufbeuren zu konzipieren. Im Vorfeld dieser Ausstellung führte das Stadtmuseum einen öffentlichen Sammlungsaufruf durch: Die Kaufbeurerinnen und Kaufbeurer waren darin eingeladen, mit Objekten, Fotos und Familiengeschichten zur Ausstellung und zur städtischen Erinnerungsarbeit persönlich beizutragen. Diese Sammlung von Kaufbeurer Zeugnissen bildete die Grundlage für das partizipative Ausstellungsprojekt »Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Eine Stadt geht auf Spurensuche«, das insgesamt zehn Kooperationspartner aus der Stadtgesellschaft in die Erinnerungsarbeit einbezog. Die Beteiligung aller Partner spiegelte sich in der Ausstellung selbst, aber auch im Begleitprogramm wider. Immer wieder wurde die heutige Sicht von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen auf die NS-Vergangenheit deutlich. Die Ausstellung war trotz Corona ein großer Publikumserfolg und erreichte knapp 4.800 Besucherinnen und Besucher.
Im Nachgang beschloss der Stadtrat Kaufbeuren im Dezember 2020 einen mehrjährigen Stufenplan, der in einer Überarbeitung der Dauerausstellung enden wird. Auf dem Weg dahin führt das Stadtmuseum weitere Projekte durch, die dazu dienen, vorhandene Forschungslücken zu schließen und weitere Grundlagen für die Umgestaltung zu schaffen. Auch die Vernetzung mit Partnern aus der Stadtgesellschaft sowie die Erweiterung der Erinnerungsarbeit in den Stadtraum spielten dabei eine wichtige Rolle. In diesem Prozess ist in den letzten Jahren eine Reihe von Projekten entstanden, darunter die Verlegung von Stolpersteinen im Stadtraum, die Erarbeitung eines Gedenkbuchs für die Kaufbeurer Opfer der NS-»Euthanasie«, die Entwicklung einer App zu den Stolpersteinen mit Jugendlichen sowie die rückwirkende Dokumentation der Sonderausstellung als Buch.
Für das Stadtmuseum Kaufbeuren ist vor allem die Beteiligung der Stadtgesellschaft Dreh- und Angelpunkt in der Etablierung einer lokalen Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus. Die Einbindung vieler durch Partizipation ist dabei genauso wichtig wie die öffentliche Sichtbarkeit und Transparenz, aber auch die Berücksichtigung gegenwärtiger Sichtweisen. Das Zeitfenster, in dem Zeitzeugen ihre Erinnerungen an die NS-Zeit teilen können, schließt sich zusehends. Es ist deshalb an uns, den nachfolgenden Generationen, die Erinnerungsarbeit nicht zum Stillstand kommen zu lassen und immer wieder neue Perspektiven auf die Vergangenheit einzunehmen.
Petra Weber M.A.
Nach einem Studium der Kunstgeschichte, Kunstpädagogik und Anglistik an den Universitäten Augsburg und Parma absolvierte Petra Weber 2012/13 ein wissenschaftliches Volontariat im Stadtmuseum Kaufbeuren, das zu diesem Zeitpunkt neu konzipiert und 2013 wiedereröffnet wurde. Nach einer anschließenden Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin übernahm sie die Leitung des Stadtmuseums 2014. Neben der Entwicklung von kulturgeschichtlichen Ausstellungen zur Museumssammlung bildet die partizipative Aufarbeitung der städtischen NS-Vergangenheit einen wichtigen Themenschwerpunkt in ihrer Arbeit. © Susanne Seiffert / AKF Kaufbeuren
Erinnerungskultur?
Ein Begriff, der häufig verwendet wird. Oft in sensiblen Kontexten. Die Bedeutung des Wortes ist nicht wirklich definiert. Das führt zu Missverständnissen. Manche verorten Erinnerungskultur in einem Zeitkorsett zwischen 1933 und 1945. Sie fokussieren damit jedoch nur die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Der a3kultur-Redaktion erschien dieses Fenster nie als passend. Sofern es zum Erinnern überhaupt Zeitmarken braucht, wären diese vielleicht zuerst mit den Jahren 1848 oder 1871, samt ihren bedeutenden Umbrüchen, zu setzen.
Wo endet Geschichte? An welchem Punkt beginnt Erinnerungskultur? Und, bedingt das eine nicht das andere? Diese Fragen und Themen diskutieren wir in der a3kultur-Redaktion – ergebnisoffen.
Wir ahnen nur, mit welchen Ereignissen die Erinnerungskultur – oder das, was wir darunter verstehen – einsetzen könnte. Wir wissen jedoch, wie aktuell Erinnerungskultur zu verhandeln ist. Sie reicht immer in die Gegenwart. Sie behandelt auch das Heute. Von jedem Tag aufs Neue.
Beim Versuch, der Erinnerungskultur, oder sollte man von den Erinnerungskulturen sprechen, einen Rahmen zu geben, entwickelt sich die Idee zu dieser Sonderveröffentlichung. Wir baten Expert*innen in Gastbeiträge der Frage nachzugehen, was sie unter Erinnerungskultur verstehen. Sie sollten unseren Leser*innen von Projekten berichten und welche Bedeutung Erinnerungskultur in diesem speziellen Arbeitsfeld hat. Hier sind die Ergebnisse.
An der a3kultur-Sonderveröffentlichung haben sich folgende Expert*innen mit Gastbeiträgen beteiligt: Carmen Reichert (Leiterin Jüdisches Museum Augsburg Schwaben), Cosima Götz (Leiterin Stabsstelle Stadtgeschichte in Augsburg), Petra Weber (Leiterin Stadtmuseum Kaufbeuren), Michael Friedrichs (Engagiert in der Erinnerungswerkstatt Augsburg und beim Brechtpreis), Felix Bellaire (Leiter Fachstelle Erinnerungskultur Augsburg)
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