Erbsen, Pferde, Spinnen, Spiegel und das Ich
Das lab.30 hat begonnen. Herzstück ist wie immer die Ausstellung in den Räumen des Kulturhauses abraxas. Lohnt es sich?
17 neue Werke der digitalen und der Medienkunst sowie Robotik, geschaffen sowohl von einheimischen als auch von internationalen Künstler*innen stellen sich 2022 beim gestern eröffneten Augsburger Medienkunstfestival lab.30 wieder dem Wettbewerb um die Gunst des Publikums, denn natürlich gibt es wieder einen lab-Award.
Das 18. Werk, »Flora« des Berliners Philip Artus war – außer Konkurrenz – schon bei den »Light Nights« am vergangenen Wochenende ein Publikumsliebling in der Innenstadt. Das weckte große Erwartungen an das Festival.
Und diese werden mit kleinen Einschränkungen auch erfüllt: Von den Fesseln der Covid-19-Krise befreit durfte die Ausstellung, das Herzstück des lab.30 wieder unbegrenzt Publikum (wenngleich am ersten Abend noch nicht von einem Ansturm die Rede sein konnte) in die Räume des abraxas ein- und mit den oft noch jungen Künstler*innen aus Augsburg, dem Bundesgebiet und anderen Ländern und deren Werken in Dialog treten lassen.
Ästhetische Spielerei oder gesellschaftliches Statement? Oft ist eine klare Zuordnung der Inhalte dieser Kunst nicht einfach oder geschieht erst im Nachhinein, und das ist durchaus der Clou manches Werks.
Technologien, die längst in der Wissenschaft oder Konsumwelt verwendet werden, werden in spielerische, zweckfreie oder skurrile Kontexte eingebunden, z. B. wenn man seine Gedanken vom virtuellen Pferd »Hans« lesen lässt (Foto), mittels Eye-Tracking, wie es in der Marktforschung zur Beobachtung von Testpersonen längst Einzug gehalten hat. (»Smart Hans« von Adrian Ludwig / Max Haarich / Raphael Pickl)
Mitunter spektakulär geht es im großen Kellerraum der Ausstellung zu: Da fährt ein manns- (oder fraus-)hoher Roboter im Kreis und – pardon! – »kackt« bunte Gebilde aus Plastik, die ihrerseits wieder an Kunstwerke erinnern, und die, wie man der bereitliegenden Infokarte entnehmen kann, aus Granulat von Plastikmüll hergestellt sind (Nikolas Schmid-Pfähler, Carolin Liebl: »RE:PLACES«). Auseinandersetzung mit Umweltthemen, zugleich aber auch humorvolle Kunstkritik, hier kann man vieles herauslesen.
Auch Verena Friedrichs »Erbsenzähler« erheitert erst einmal durch die harmlose Aufmachung, hat aber den ernsten Hintergrund, dass ebenso wie die Erbsen auf dem Förderband eines Tages auch Menschen auf dem Prüfstand der digitalen Qualitätskontrolle und Sortierung landen könnten.
Eine sichere Bank, bei der das Publikum gerne länger verweilt, sind immer noch die interaktiven Installationen. Das beweist neben weiteren Beispielen auch die Videoarbeit »APOPHIS – Die Sandbank der Schildkröte« von Erik Lesovsky aus Berlin: Wer ins Visier der Kamera gerät, sieht sich als Horrorgestalt in einem apokalyptischen Setting wieder, in dem sich Körper auflösen und gleich Lava oder Sand zerfließen. Selbst fröhlich ausgeführte körperliche Aktivität seitens der Besucher unterstreicht die Verzweiflung höchstens noch.
Erstellt wurde das Ganze mit einer Game-Software, weswegen Assoziationen mit Ego-Shootern wie »Unreal« durchaus ebenso willkommen sind wie zum Kinofilm »Die Mumie« mit Brendan Fraser, beides Produkte der 1990er, als unser Heute noch Zukunft war, und Dürre und Zerstörung mitten in Europa noch finstere Science-fiction. So gesehen auch hier wieder durchaus Hintersinn hinter dem Effektgewitter.
Manches bleibt leider auch etwas unbefriedigend. Der Zusammenhang zwischen der Erwähnung des Wortes »Augsburg« auf der Plattform Twitter, sowie den Umweltdaten der Stadt als Stimmungs-Bild im wahrsten Sinne des Wortes, lässt sich etwas schwer nachvollziehen. Und auch das Gesichtstracking in Verbindung mit Soundsamples, deren Ursprung und Zweck man nicht kennt, funktioniert nur bedingt, vor allem, zumal wenn die Hintergrundgeräusche im Raum alles überlagern. Und die Roboter-Spinne, die die Stimmungslage des Künstlers ausdrücken soll, bleibt in Abwesenheit desselben nicht mehr als eine – gewiss beeindruckende und elegante – kinetische Skulptur. Aber jeder urteile und vote selbst.
Manches hat man auch schon so oder ähnlich in vergangenen Jahren gesehen, aber vieles verliert einfach nie an Reiz. Dazu gehören be- und verzaubernde, fragile Klanginstallationen im Halbdunkel, die traditionell meist im Dachboden des abraxas anzutreffen sind. So auch dieses Jahr wieder: »Frequencies« von George Rahi (Kanada) erfindet das Rad bzw. die Glocke nicht neu, aber auch ihm gelingt es, eine Atmosphäre zu schaffen, in der die Besucher*innen gerne die Stimmen senken und andächtig auf Zehenspitzen durch den mit (reagierenden) Glockenspiel-Automaten versehenen Raum schleichen oder sich für einige Minuten zur Kontemplation niederlassen. Kunst einfach für die Sinne, der Verstand darf sich auch einmal kurz ausruhen.
Unterm Strich wieder einiges zum Staunen und zum Entdecken, nicht für jeden und jede Veteran*in des Festivals neuartig und vielleicht etwas ruhiger und nicht ganz so bombastisch wie in früheren Jahren, aber als Bewegungsmelder der internationalen Medienkunst durchaus geeignet und zumindest stellenweise ein sinnliches Vergnügen, bei dem die Zeit bis zur nächsten Live-Performance wieder einmal viel zu schnell verstreicht.
Die Ausstellung beim lab.30 ist noch bis Sonntag, 30. Oktober zugänglich, am Freitag von 19 bis 24 Uhr, am Samstag von 14–24 Uhr, am Sonntag von 13–17 Uhr.
Die Preisverleihung für beide Preise, Jurypreis und Publikumspreis, ist öffentlich und findet am Samstag um 22:45 im Theater des abraxas statt.
Edit (04.11.2022):
Gewinner des lab award der Jury wurde »Smart Hans« von Adrian Ludwig / Max Haarich / Raphael Pickl. George Rahis »Frequencies« gewann den Publikumspreis.
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