Bildung
Politik & Gesellschaft

Atlas der Abwesenheit

Bénédicte Savoy
Gastautor

Stellen Sie sich vor, weder in Nürnberg noch sonst irgendwo in Deutschland hinge ein Dürer, und um einen zu sehen, müssten Sie nach Indien fahren. Ein Gastbeitrag von Dr. Andrea Rehling

Diesen Vergleich schulde ich dem Afrika-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung Peter Seidlitz, der ihn 1978 nutzte, um zu veranschaulichen, wie es durch den Kolonialismus um die Kunst der afrikanischen Staaten bestellt war. Ihre Kunst zurückzufordern war für die um 1960 unabhängig werdenden Staaten Afrikas Teil ihres Strebens nach kultureller Souveränität. Dazu gehörte auch, dass die Integrität der Kulturgüter durch die Rückkehr in den authentischen kulturellen Kontext wiederhergestellt werden sollte. Solche Forderungen erscheinen heute manchmal als sehr gegenwärtig, doch konnte Bénédicte Savoy zeigen, dass »Afrikas Kampf um seine Kunst« (so auch der Titel ihrer Publikation aus dem Jahre 2021) schon vor über 50 Jahren begonnen hat. 

Von vielen Museumsleuten der vormaligen Kolonialmächte wurden solche Vorstöße nicht begrüßt. Stattdessen wurde argumentiert, die europäischen Museen hätten sich um die Erhaltung der Objekte verdient gemacht und dadurch einen Besitzanspruch erworben. Außerdem handle es sich bei den öffentlich zugänglichen europäischen Sammlungen der Weltkulturen mittlerweile selbst um ein gemeinsames Erbe der Menschheit, das nicht »auseinandergerissen« werden dürfe.

In finanzieller Hinsicht sei in ihnen die Erhaltung der Dinge am besten gewährleistet – so das Argument der Rückgabegegner bereits in den 1970er-Jahren. Bis heute lagern u.a. 40.000 Objekte aus Kamerun in öffentlichen Museen der Bundesrepublik Deutschland. Das ist der größte Bestand weltweit. Zum Vergleich: Die staatlichen Sammlungen in Kameruns Hauptstadt Yaoundé umfassen nur etwa 6.000 Objekte.

In dem Projekt »Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kunst in Deutschland« (2023) wurden diese Objekte identifiziert und verzeichnet, was auch möglich war, weil die deutschen Museen in der Zwischenzeit mehrheitlich ihre Position gegenüber möglichen Rückgabeforderungen verändert haben. Dazu hat sicherlich auch der von Bénédicte Savoy gemeinsam mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr 2018 im Auftrag des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron erstellte Bericht »Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter« beigetragen.

Wir freuen uns deshalb sehr, dass Bénédicte Savoy im Sommersemester 2024 die Internationale Gastdozentur am Jakob-Fugger-Zentrum, dem Forschungskolleg für transnationale Studien der Universität Augsburg wahrnehmen wird, um in ihren Veranstaltungen mit uns gemeinsam über Afrikas Kampf um seine Kunst zu sprechen und auszuloten, wo wir in dieser Frage heute stehen.

Am Donnerstag, 6. Juni, 18:30 Uhr findet in der Universität Augsburg, Gebäude H (Jura), Hörsaal 1009 ein Podiumsgespräch unter dem Titel »Afrikas Kampf um seine Kunst« statt. Erwartet werden dazu Drossilia Dikegue Igouwe (Universität Augsburg), Dr. Heidrun Lange-Krach (Städel-Kooperationsprofessur Goethe Universität Frankfurt), PD Dr. Richard Hölzl (Provenienzforschung Museum Fünf Kontinente München), Dr. Karl Borromäus Murr (Direktor des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg (tim)). Die Moderation hat Nicki K. Weber (Universität Augsburg).

Am Freitag, 7. Juni, 10 Uhr veranstaltet das Fugger und Welser Erlebnismuseum einen Workshop für Interessierte zum Thema: »Atlas der Abwesenheit. Kameruns Kulturerbe in Deutschland und Augsburg«

www.uni-augsburg.de

Dr. Andrea Rehling

Dr. Andrea Rehling ist seit Februar 2018 wissenschaftliche Geschäftsführerin des Jakob-Fugger-Zentrums an der Universität Augsburg.

Vorher war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Universalgeschichte des Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte in Mainz. Dort leitete sie zwischen 2013 und 2016 das Forschungsprojekt »Wissen der Welt - Erbe der Menschheit: Die Geschichte des Weltkultur- und Naturerbes der UNESCO«, das aus Mitteln des Leibniz-Wettbewerbs unter der Förderlinie 2: Besonders innovative und risikoreiche Vorhaben finanziert wurde.

Sie hat Geschichte, Politikwissenschaft und Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum studiert. 2009 wurde sie an der Eberhard Karls Universität mit einer Arbeit zum deutschen Korporatismus zwischen 1880 und 1980 promoviert. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin in Tübingen und an der Universität Mannheim. Neben kurzen Aufenthalten an den Deutschen Historischen Instituten London und Paris, war sie Junior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Kolleg des Exzellenzclusters »Kulturelle Grundlagen von Integration« der Universität Konstanz und Visiting Fellow des Europainstitut der Universität Basel.

Die Internationale Gastdozentur ist eine gemeinsame Initiative der geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten und des Jakob-Fugger-Zentrums der Universität Augsburg. Sie bietet Studierenden und Lehrenden sowie Interessierten aus der Stadt die Gelegenheit, international ausgewiesene Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst in Augsburg zu erleben. Mit Vorträgen, Seminaren und Debatten zu zentralen Fragen unserer Zeit fördert die Internationale Gastdozentur den Austausch zwischen den Dozierenden, der Universität Augsburg und der Stadtgesellschaft. 

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