Ausstrahlung jetzt wirklich weltweit

Dieses Jahr also »dank« Corona kein nerviges Schlangestehen samt aggressivem Gerangele um die besten Plätze im martini-Park, um Stars und Spektakel live zu erleben. Wer (wie ich zum Beispiel) den Vorjahres-Brechtfestivalstress noch im Kopf hatte, freute sich beim gestrigen Auftakt fast schon darauf am heimischen Endgerät lediglich einige Male die F5-Taste zu drücken, um die wiederholten Stream-Hänger zu beseitigen. Danke an dieser Stelle an die aktive Chat-Gemeinde, die neben technischem Support auch alle fünf Eröffnungsbeiträge überwiegend hymnisch-positiv kommentierte.
Tradition hat die Koproduktion mit dem Staatstheater Augsburg zum Start: Diesmal adaptierten die Festivalleiter Jürgen Kuttner und Tom Kühnel die Textcollage von Heiner Müller zur Augsburger Digitalfassung »Medeamaterial«. Alle Beteiligten definierten den »Zoom- und Zimmer-Probenprozess« als außergewöhnlich. Insbesondere die drei Schauspielerinnen Natalie Hünig, Elif Esmen und Christina Jung (Foto © Jan-Pieter Fuhr) erlebten diese Hybrid-Produktion trotz aller Umstände mit Spaß und Offenheit, wie sie im Eröffnungstalk berichteten. Entstanden ist ein mit raffinierten Überblendungen von Live-Action und umfangreichem Fotomaterial (toll die Hochzeitskleid-Szene!) geschnittenes Video. Selbst als Medea-Mythos-Kundige fühlte man sich allerdings angesichts der immensen visuellen Flut stellenweise überfordert, was Sinn- und Text-Entschlüsselung betraf. Dominant waren die musikalische Sogwirkung (Lila-Zoé Krauß und Helena Ratka) sowie die faszinierenden Kostümkreationen von Laurent Pellissier. Ein »Nachschauen« über die Mediathek bietet sich an, um die komplexen 40 Minuten und damit die unauflösbaren Gegensätze von Natur und Zivilisation, von Täter und Opfer, Unterwerfung und Verbannung der Frau aus dem Prozess der Geschichte besser zu (be)greifen.
Fast fließend dann der Übergang zur schaurig-schönen Rosa-Luxemburg-Puppe, die uns mit Suse Wächter und Brechts »Ballade vom ertrunkenen Mädchen« überaus poetisch ans Berliner Flussufer führte. Nicht weniger geistreich eroberte »Pavarotti« im Stadion an der Alten Försterei erst die Massageliege in der Umkleide und später mit der »Kinderhymne« voller Melancholie das leere und verschneite Stadionfeld. Unfassbar gut!
Dieses Prädikat verdiente auch der aus Kiew zugespielte Auftritt der sieben Schauspielerinnen und Musikerinnen, die als Dakh Daughters firmieren. Bereits 2017 gastierten sie beim Brechtfestival und sorgten damals wie jetzt mit ihrem originellen musikalischen Stil, der Kabarett, Punkt, Folklore mit Poesie und politischem Engagement vereint, für Furore und Begeisterung beim Publikum. Der erste Abend bot also einen starken ersten Eindruck vom Genremix, mit dem sich das Brechtfestival noch bis zum 7. März weltweit übertragen in Szene setzt.
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