Festival

Halleluja Bert Brecht

brecht
a3kultur-Redaktion

Joachim Lang hält die 20er-Jahre für Brechts beste Schaffensphase und machte sie zum Motto seines diesjährigen Festivals. Publikum und Kritik halten das Brechtfestival 2014 für Langs beste Schaffensphase in Augsburg. Sie haben recht, und das Programm nimmt erfreulicherweise kaum Rücksicht auf durch Jahreszahlen allzu eng definierte Korridore

Am Eröffnungsabend befand Juliane Votteler noch, die 20er-Jahre lägen ihr näher als die 60er. Interessantes Statement, wir sollten ihm nachgehen, wenn die 60er Jahre ebenfalls 90 Jahre zurückliegen, und konzentrieren uns derweil auf die erste Show des Festivals. »Fragen Sie mehr über Brecht« – Burghart Klaußner ist der Komponist Hanns Eisler und Joachim Lang der Publizist Hans Bunge. Gemeinsam spielen sie ein Interview nach, das 1961 aufgenommen wurde. Die überwiegenden Textpassagen wurden von Klaußner übernommen, was wohl nicht nur dem Publikum, sondern auch Lang ganz gelegen kam. Mit minimalem Aufwand gelang es, neben dem großen Musiker auch einen wirklich lebensweisen Eisler zu zeigen. Am Flügel saß derweil Matthias Stötzel mal solo, mal als Begleiter für Klaußners Gesangseinlagen – fabelhaft. So wird ein sperriges Thema festivalleicht dargereicht.

Nach diesem Auftakt hatte ich noch Gelegenheit, etwas mit Burghart Klaußner zu plaudern. Der Berliner Wirtssohn stand nach der Vorstellung vor dem Theater und genehmigte sich erst einmal ein paar Zigaretten. Natürlich stellte ich mich zu seiner kleinen rauchenden und frierenden Gruppe und wir kamen ins Gespräch. Suchtverhalten verbindet, und bei gefühlten zehn Grad unter null hat niemand Zeit für langes Abtasten. Ich bekam Feuer, gratulierte zur Vorstellung und erkundigte mich nach weiteren Plänen. Die Fuggerei würde er gern sehen, aber dafür habe er morgen keine Zeit mehr. Das nächste Engagement rufe. »Na dann kommen Sie doch im Sommer wieder. Am besten übernachten Sie dann im Grandhotel Cosmopolis. Das liegt zentral, ist auch ein Augsburger Sozialprojekt von Weltruf und Sie teilen sich den Frühstücksraum mit Asylbewerbern.« Das gefiel dem Star. Doch noch ehe er antworten konnte, ergriff eine Dame das Wort: »Was fällt Ihnen denn ein, junger Mann« – natürlich hatte ich die Ironie der Anrede verstanden –, »Herr Klaußner ist mein Gast!« Sprachs, steckte alle Raucher mit ihrem Lachen an und stellte sich als Direktorin des Hotels Drei Mohren vor. So muss ein Festival starten. Erst eine große Show und im Anschluss gepflegter Small Talk mit Stars und Sponsoren.

Gut 20 Stunden später sollte ich bei der Langen Brechtnacht Nina Hagen kennenlernen. Und zwar als Künstlerin, die Brechts Texte in ein für mich noch nie so gehörtes wunderschönes, leicht fallendes Kleid aus Country, Blues und Gospel webte. Ich nahm ihr an diesem Abend jede Textzeile ab, was man bei Gott nicht von allen Stars und Sternchen behaupten kann, die Brecht zum Besten geben. Es lag wohl daran, dass Nina unseren Bert so gut kannte. Mit zwölf Jahren war sie Stammgast im Berliner Ensemble, das Ticket zweiter Rang für 55 Pfennige Ost, und seitdem hat sie Brecht nicht mehr losgelassen. Zu den Songs spielte sie ein wenig Gitarre und am Flügel wurde sie von einem wirklich guten Pianisten begleitet, dessen Namen uns das Programmheft leider vorenthält. Gleich mehrmals gelang es Nina Hagen an diesem Abend, Tagespolitik mit ins Programm fließen zu lassen. Nicht besserwisserisch oder maulend, nie mit erhobenem Zeigefinger – wow! Zum Schluss warf sie von Ilona Haslbauer, gegen deren Unterbringung in der Psychiatrie sie zuvor protestierte, gefaltete Papiersterne ins Publikum, und mir flog einer direkt an den Kopf. Manche Menschen haben eben Glück. Das dache sich wohl auch Nina Hagen und verabschiedete sich mit einem herzlichen: »Halleluja Bert Brecht!«

Nach einer kleinen Stärkung beim Italiener schräg gegenüber kamen wir einen Tick zu spät, um die Trash-Show-Rocker von Bonaparte von Anfang an mitzubekommen. Unsere Sitzplätze im Parkett, zweite Reihe Mitte, hatten sich schon längst zwei selige Minderjährige gekrallt. Das Publikum hatte sich zu 97 Prozent verjüngt. Nur wir und der SPD-OB-Kandidat hielten die Stellung der Fraktion 40+. Wir standen bequem an die Wand gelehnt vor der Bühne und hatten somit nicht nur die Bühne selbst, sondern auch den Besucherraum bestens im Blick. Der Schweizer Sänger und Gitarrist Tobias Jundt ist ein Wahnsinniger und dazu noch ein guter Musiker. Er erinnert an eine Spezies, die zu gleichen Teilen über Genmaterial von Prince und Iggy Pop verfügt. Mit großem Vergnügen bewegte er sich einige Male quer durch den Saal, ohne auch nur einmal den Boden zu berühren. Elegant sprang er von Stuhllehne zu Stuhllehne, trank mit seinen Fans Bier und flirtete mit ihnen. Allein diese Showeinlage rechtfertigte die Entscheidung, diese Bewegung provozierende Band ins Große Haus zu holen. Auf der Bühne verwuchs das schmächtige Kerlchen dann mit seinem Instrument und gab mit seinen Kollegen am Schlagzeug und an diversen elektronischen Geräten richtig schön Gas. Das Besondere an Bonaparte ist aber diese spezielle Mischung aus Tanzperformance und Livemusik. Drei Mädels und ein Typ bebilderten die einzelnen Strecken mit haarsträubend komischen und die Grenzen des Machbaren ignorierenden Einlagen. Hier trafen die Punkrevuen von Plan B und Bérurier Noir auf die Tanzeinlagen von Sergej Gleithmann bei Helge Schneiders Liveterminen. Den Rest des Abends verbrachten wir in der Orangerie, tranken Spezi und Radler und lauschten der Basstuba der Trikont-Band Kofelgschroa, die im völlig überfüllten großen Saal der Zentrale spielte. Es war ein guter Abend.

Drei Tage später gastierte die britische Band Tiger Lillies in der Brechtbühne. a3kultur widmete diesen »gefährlichen Clowns« das letzte Titelbild. Ich hatte diese Kapelle seit den frühen 90er-Jahren auf dem Schirm. Damals gab es Partys, für die je eine LP der Lillies, der Pogues und der Cramps ausreichte, um sie zu einem vollen Erfolg zu machen. »Martyn Jacques prägt mit Clownsmaske und Falsettgesang, den er selbst mit Akkordeon und Klavier begleitet, den schräg-makabren, tragisch-komödiantischen Stil der Band. The Tiger Lillies verbinden dabei Britischen Humor, Punk-Attitüde und Kunstmusik in der Tradition von Brecht/Weill mit Zirkusklängen, Vaudeville und dem Kabarett der Weimarer Republik.« So befindet Wikipedia über die Band. Mehr gibts dazu nicht zu sagen. Das Konzert in Augsburg tat sich in der ersten Hälfte schwer, in Fahrt zu kommen. Ein Schauspielhaus dieser Art bietet eben nicht für jede Band die passende Bühne. Und wer war eigentlich für die Öffnungszeiten der Bar des Hauses an diesem Abend verantwortlich? Eine halbe Stunde vor Mitternacht strömten durstige Fans aus dem Saal und fanden draußen einen blank geputzten Tresen vor. Vor 20 Jahren wäre diese schwere Panne bei den gleichen Fans wohl nicht so glimpflich ausgegangen.

Zum Schluss noch ein Lob. Girisha Fernando, er kuratierte weite Strecken des Bereichs Livemusik beim Festival, hat gute Arbeit geleistet. Am vorletzten Abend wird die »Nobelpreisträgerin für Musik« Patti Smith gemeinsam mit Tony Shanahan und ihrem Sohn Jackson Smith einen Auftritt im Großen Haus haben. Und für das kommende Jahr stehen die Verantwortlichen mit Nick Cave, Tom Waits und Elvis in Verhandlungen.

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